Unser Land, unsere Unternehmen, wir selbst, haben die Wahl. Uns im Kleinteiligen und Nebensächlichen zu verlieren oder an der Zukunft zu arbeiten. Dafür braucht es aber klare Anker: Visionen, Ziele und Strategien.
Am 26. September finden – oder, je nachdem wann Sie diesen Beitrag lesen: fanden – die Bundestagswahlen statt. Von außen betrachtet erscheint dabei manches durchaus neu und „historisch“: Eine amtierende Kanzlerin stellt sich erstmals nicht mehr zur Wahl. Drei statt zwei Kandidaten ringen um die kommende Kanzlerschaft. Drei statt nur zwei Parteien werden voraussichtlich das neue Regierungsbündnis bilden. Eine der ehemals großen „Volksparteien“ wird sich nach „ewiger“ Zeit der Großen Koalitionen zukünftig wohl mal wieder in der Opposition wiederfinden. Grüne und FDP werden vermutlich an der neuen Regierung beteiligt sein – wenn sie denn wollen und nachdem dies vor vier Jahren noch recht kläglich gescheitert war.
Damit ist es aber auch schon fast vorbei mit dem Neuem und Aufbruch.
Der Wahlkampf war langweilig, blass, wenig erhellend, weichgespült, versandet. Die Kandidaten wirkten allenfalls durchschnittlich. Lediglich einige Ad-hoc-Skandalisierungsversuche und die üblich gewordene mediale Erregungsbewirtschaftung sorgten für etwas – freilich verzichtbare – Aufregung und Unterhaltung. Niemand traute sich aus der Deckung, niemand nahm dezidierte oder zugespitzte Positionen ein. Risikoaversion, Profillosigkeit und Wohlgefälligkeit beherrschten die Bühne. Die „TV-Trielle“ wurden vom Handelsblatt kurz und bündig sogar als „Micky-Maus-Veranstaltung“ bezeichnet und der Begriff des „Pustekuchen-Wahlkampfs“ machte die Runde. Auch die Medien haben hieran ihren Anteil gehabt. Echte Diskurse wurden der Unterhaltung und den Quoten geopfert.
Und dies alles angesichts großer Herausforderungen: Klimawandel, nachhaltiger Umbau der Wirtschaft, Modernisierung der Verwaltung, Bildungs- und Digitalisierungsrückstand, Zukunft der Arbeitsgesellschaft, Europas künftige Rolle in der Welt, Nach-Corona-Perspektiven, und nicht zuletzt auch soziale und gesamtgesellschaftliche Fragen. All dies wartet als „Baustellen“ eigentlich darauf, zu neuen überzeugenden Zukunftskonzepten verbunden zu werden. Um substanziellen Fortschritt einzuleiten, Stillstand zu überwinden.
Wohin soll die Reise gehen? Visionen, Ziele, Strategien, markante Meilensteine? Fehlanzeige!
Der Wahlkampf verlor sich stattdessen weitgehend in Details und in mehr oder weniger relevanten, interessanten oder unterhaltsamen Nebensächlichkeiten. Die Schleier der Corona-Krise, von einer „endlosen“ Merkel-Kanzlerschaft und auch von Wohlstandssattheit liegen noch über dem Land. Der Versuch, sich wirklich Neuem und der Zukunft zuzuwenden – und sich damit in einen Diskurs zu begeben – blieb schon im Ansatz stecken.
Zugenommen haben hingegen hierzulande das Moralisieren, Pädagogisieren, Verängstigen, Gängeln, Skandalisieren und auch das wirre Rumpöbeln. Dies ist aber keine gestaltende Politik. Dabei braucht unser Land nach langem Fahren auf Sicht endlich wieder einen Kompass für den Weg in die Zukunft, positive Entwicklungsimpulse und klare Perspektiven. Ebenso wenig wie Wirtschaft, Unternehmen und der Einzelne kann ein Land nur von einem „Weiter so“, von nebulösen Stabilitätsnarrativen und ohne positive Zukunftsbilder (über-)leben.
Spannend wird es erst nach der Wahl …
Deutlich spannender als der Wahlkampf und die Wahl selbst wird nun sein, was nach der Wahl passiert. Da wird es lauter werden und auch mal knallen. Da wird manche Deckung verlassen werden. Und das ist auch gut so. Dafür sind die Herausforderungen der Zukunft zu groß, wurden zu lange ausgeblendet. Lösungen nur für kurzfristige Herausforderungen sind zu wenig. Demokratie, Wohlstand, Innovation, Entwicklung, Beteiligung, Fortschritt – das alles fällt nicht vom Himmel, das ist kein Selbstläufer, das ist auch nicht ein für alle Male gegeben. Es braucht in Parteien und Regierungen mehr als nur die vielen Verwaltungsfachleute und Juristen. Vor- und Nachdenker, Weiterblicker, Ingenieure, Erfinder und nicht zuletzt Macher. Menschen, die etwas voranbringen und auch etwas riskieren. Die Gegensätzliches und Widersprüchliches zu verbinden vermögen. Die das Ganze angesichts vieler Partikularinteressen nicht aus den Augen verlieren.
Deutschland hat die Wahl, Unternehmen haben die Wahl, wir haben die Wahl: Stillstand und Negativismus zu überwinden, positiv und engagiert nach vorne zu schauen und zu handeln, Zukunft zu ermöglichen und zu gestalten. Kurz: Wir brauchen weniger Gegenwartsbewältigung und mehr Zukunftsgestaltung.
Dies gilt nicht nur für die Politik. Sondern auch für Unternehmen und auch für jeden Einzelnen. Es gilt, sich nicht zurückzulehnen, die Welt nur aus der Zuschauerbrille zu betrachten, diese zu beklagen, gar zu „haten“. Es gilt, Herausforderungen und Wandel anzunehmen und Entwicklungen zu gestalten – aktiv, vorausschauend und nachdenkend, nicht nur darum, den Status-Quo abzusichern. Doch dafür braucht es die Entwicklung von klaren Visionen, ein attraktives und motivierendes Bild einer anstrebenswerten, erreichbaren Zukunft.
Politiker und Parteien sind in dieser Hinsicht oft kein gutes Vorbild. Unternehmen können, sollten und müssen da andere, bessere Wege gehen.
Was eine gute Vision ausmacht …
Doch was macht – jenseits ihrer spezifischen Inhalte – die Eckpunkte von „guten“ Visionen überhaupt aus? Wie können Unternehmen davon profitieren? Bewährt haben sich als Entwicklungs- und Bewertungsraster hier in der Praxis folgende Prinzipien:
Visionen sollten sein …
- inspirierend: Visionen sollen Kreativität und Tatkraft anregen und damit potenziell auch stolz machen, an deren Erreichung mitzuarbeiten.
- glaubwürdig: Visionen sollten authentisch und damit vertrauensbildend sein.
- realitätsbezogen: Visionen sollten möglichst konkret, prinzipiell erreichbar und damit ermutigend sein.
- langfristig orientiert: Visionen sollten langfristige Perspektiven schaffen und nachhaltigen Sinn stiften, ohne aber in allzu ferner Zukunft zu liegen.
- gemeinschaftsbezogen: Visionen sollten alle einbeziehen und damit verbinden und integrieren.
- eigenständig: Visionen sollten möglichst individuellen bzw. eigenständigen Charakter aufweisen.
Sich der Zukunft zuwenden …
Es lohnt, Visionen als Kraftquellen zu finden, anzusprechen und zu nutzen. Denn ohne Vision – ohne nach vorne weisende positive Zukunfts-, Leit- und Entwicklungsbilder – bleibt vieles, wenn nicht alles, in Unternehmen letztlich funktional, erstarrt, defensiv, ausblutend, ausbrennend, roboterhaft. Visionen (als größere Entwicklungsziele) und damit verbundene Missionen (als damit verbundener Auftrag / Aufgabe nach innen) und Werte (als Leitplanken und Handlungsorientierungen auf der Reise) sind zudem die Grundlage nachfolgender Leitbild- und Strategieentwicklungen.
Überlegen Sie selbst einmal:
Was können Sie in Ihrem eigenen Unternehmen an „Visionärem“ entdecken? Gibt es eine formulierte Unternehmensvision bzw. Entwicklungsleitbilder? Wenn ja: Inwiefern lösen diese oben genannte Kriterien ein? Wo bestehen mögliche Lücken oder Widersprüche? Wenn nein: Warum gibt es diese nicht? Aus welchen Kraftquellen speist sich das Handeln und das Engagement Ihres Unternehmens? Woraus schöpfen Sie selbst Ihre Kraft im beruflichen Alltag? Was bietet Ihr Unternehmen neuen Mitarbeitern und insbesondere auch jungen Menschen an Inspiration, um diese für die Mitarbeit in Ihrem Unternehmen zu begeistern? Wissen die Mitarbeitenden, wohin die Reise Ihres Unternehmens in Zukunft gehen soll?
Aus der Beantwortung solcher und weiterer Fragen – ebenso wie durch das Stellen damit verbundener weiterer Fragen – gewinnen Sie eine Orientierung, wo Ihr Unternehmen aktuell in puncto Zukunftsgestaltung steht. Wo noch Nebel und wo noch offene Baustellen liegen, damit eine Unternehmenszukunft vorstellbar, sichtbar, greifbar und so auch erst erreichbar werden kann. Nutzen Sie dabei Ihre vielfältigen Wahlmöglichkeiten und Ihre (Mit-)Gestaltungsmöglichkeiten – und dies nicht nur an Wahlsonntagen!
Interessiert am weiteren Austausch zur Beschäftigung mit organisationalen und marktbezogenen Zukunftsfragen Ihres Unternehmens?
Dann sprechen Sie uns gerne an.
Kontakt: Tanja Höllger – tanja.hoellger@heuteundmorgen.de – Telefon: +49 221 995 005-12.
Weitere Blogbeiträge zu relevanten Zukunftsthemen finden Sie auch auf den Übersichtsseiten zum Thema Innovationsmanagement, Organisationsentwicklung und Marktforschung.
Literaturtipps
Dagmar Werther (Hrsg. / 2015): Vision – Mission – Werte. Die Basis der Leitbild- und Strategieentwicklung. Beltz Verlag, Weinheim und Basel.
Frederic Laloux (2015): Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen Verlag, München.
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