Ohne strategisch relevante Customer-Insights kann Unternehmen keine überzeugende Kundenzentrierung gelingen
Ihre höchste Entwicklungsstufe erreicht Marktforschung, wenn diese von Unternehmen als strategischer Partner für Customer-Insights und als Berater für geschäftliche Entscheidungen genutzt wird. Wenn diese darüber hinaus zur Quelle von Wettbewerbsvorteilen wird – durch Weitblick, vorausschauende Untersuchungen, Antizipation von Kundenbedürfnissen, Fokus auf Innovation. Immer dann realisiert sich das wohl wertvollste und wegweisendste Potenzial der Marktforschung.
Schaut man sich die Praxis an, wird allerdings erkennbar, dass eine an Unternehmensstrategien ausgerichtete Ermittlung und Nutzung von Customer-Insights weiterhin eher Ausnahme als Regel darstellt. Obwohl die meisten Unternehmen sich Kundenzentrierung groß auf die Fahnen schreiben, bleibt der Kunde bei geschäftlichen Entscheidungen und in unternehmerischen Kernprozessen häufig außen vor. Die Gründe dafür sind vielfältig: Introvertiertheit und Selbst-Zentriertheit von Unternehmen, Silodenken von Abteilungen, fehlende Budgets, falsche Prioritätensetzungen, Randstellung oder Geringschätzung der Marktforschung, fehlende Offenheit für mögliche Kritik und Konfrontation mit der Realität, Unkenntnis darüber, was Marktforschung wirksam leisten kann. Auch der Mythos, richtungsweisende Customer-Insights könnten einfach durch Data Analytics und KI ersetzt werden, spielt hier eine Rolle. Ebenso wie eine weit verbreitete Angst vor Veränderungen und aktivem Wandel. In Deutschland ausgeprägter als anderswo.
Marktforschung wird so überwiegend mit beschränkten Horizonten und Ressourcen, recht kleinteilig oder nur Ad hoc betrieben. Weitaus seltener mit direkter Anbindung und Integration in strategische Kontexte und entlang übergeordneter unternehmerischer Ziele und Visionen.
Überlegen Sie selbst einmal:
Wie viel Zeit und Aufwand investieren Sie in Ihrem Unternehmen in interne Themen (betriebliche, organisationale, verwalterische etc.) – und wie viel an Energie und Investitionen richten sich tatsächlich auf externe Themen (Motive und Bedürfnisse der Kunden, Wettbewerb, neue Chancen, Zukunft des Unternehmens etc.)? Oder anders gefragt: Wie gut kennen Sie sich mit Ihren Kunden im Vergleich zu Ihrem Unternehmen aus?
Eine offene und ehrliche Bestandsaufnahme würde hier in manchem Unternehmen wohl zu manchem Erschrecken zumindest aber Erstaunen führen. Positiv gewendet aber auch zu einem Aufwachen und zu neuer Prioritätensetzung. Substanziell vorankommen können Unternehmen auf ihrem Weg zu stärkerer Kundenzentrierung nur, wenn entsprechend um-gedacht und um-gehandelt wird. Wenn der Blick nach draußen, zu den Kunden und in den Markt, keine lästige Pflichtübung, sondern oberste Priorität ist.
Lippenbekenntnisse ersetzen keine Customer-Insights
Denn eines sollte man sich klar machen: Schneidet man die Kunden (und damit verbundene Marktforschungsantennen) von strategisch bedeutsamen Fragestellungen und Entscheidungen ab, bleiben viele Schätze und Potenziale von Consumer-Insights ungenutzt und unbekannt. Ohne profunde, strategierelevante Customer-Insights kann es keine nachhaltige Kundenzentrierung von Unternehmen geben. Soll der Kunde strategische Priorität gewinnen – und dies kein reines Lippenbekenntnis auf Strategieagenden bleiben – müssen die Erkenntnisse über den Kunden auch stärker strategisch erhoben und genutzt werden. Müssen Marktforschungsprozesse stärker als bisher an strategisch relevante Fragen und Kontexte gekoppelt werden. In der Praxis ist dies noch deutlich zu selten der Fall – auch wenn sich in manchen Unternehmen hier durchaus positive Entwicklungsrichtungen abzeichnen. Im Ganzen betrachtet braucht Marktforschung – und damit auch der Kunde – aber mehr Lobby, mehr Weitblick und mehr Begeisterung. In Unternehmen, in der Öffentlichkeit und – das soll hier nicht unterschlagen werden – auch in der Branche selbst.
Wunschdenken und Taktieren sind keine überzeugenden Strategien
Strategien sollen Unternehmen dabei helfen, Erfolgspotenziale zu identifizieren und einzulösen. Sie müssen die Unternehmensumwelt (und allen voran die Kunden) systematisch in Planungen und Entscheidungen einbeziehen. Geschieht dies nicht oder an entscheidenden Stellen nur halbherzig, kann auch der vielbeklagte und vielerorts immer noch fortschreitende Vertrauensverlust und Bindungsverlust in den Beziehungen von Unternehmen zu Kunden – wie nebenbei auch von Politik zu Bürgern bzw. von Staat zur Bürgergesellschaft – nicht überwunden werden. Er ist in weiten Teilen hausgemacht.
Wer beispielsweise Digitalisierung nur einseitig versteht, sie nur zu Zwecken der eigenen Effizienzsteigerung nutzt – nicht aber zur Schaffung echter und spürbarer Mehrwerte für die Kunden – muss damit rechnen, dass der Schuss auch nach hinten losgehen kann. Wer sich als Unternehmen der Begegnung mit Kunden verschließt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er zunehmend gesichtslos und austauschbar wird.
Unternehmen, die bei ihren geschäftlichen Entscheidungen und in unternehmerischen Kernprozessen auf Customer-Insights und aktiven Kundenaustausch ganz oder weitgehend verzichten, diese ausblenden oder ignorieren – mehr Selbstbeschau und Selbstbestätigung als Kundenfokus und das Gehör und Gespür für die Kunden pflegen – können nicht ernsthaft erwarten, dafür von diesen auch noch geliebt zu werden (das bleibt dann Wunschdenken, da hilft auch kein oberflächliches Taktieren oder flotte Werbesprüche). Sie verfehlen am langen Ende sogar ihre Existenzberechtigung. Zumindest aber verlieren sie gegenüber den Kunden ihren Stellenwert als ein bedeutsames, beziehungsfähiges, lernfähiges und lebendiges Gegenüber. Nicht wirklich verstandene Kunden bleiben Unternehmen am Ende fremd; fremdeln ihrerseits mit den Unternehmen.
Den Wert von Insights stärker nutzen und wertschätzen
Die Bedeutung der Brücken-, Vermittlungs- und Kommunikationsfunktion von Customer-Insights kann daher gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mit Blick auf geschäftliche Entscheidungen und Kernprozesse ist diese wertvolles Kapital, das verstärkt genutzt und berücksichtigt werden sollte.
Zugleich – und dies soll hier nicht unerwähnt bleiben – ist auch die betriebliche wie externe Marktforschung selbst aufgefordert, sich zukünftig stärker mit strategierelevanten Fragen und Aufgabenstellungen in der Kundenforschung auseinanderzusetzen, entsprechendes Know-how aufzubauen und sich aktiv in diesbezügliche Planungs- und Entscheidungsprozesse einzubringen.
Instituts- und Betriebsmarktforscher sollten sich dabei idealerweise ergänzen. Beide Seiten profitieren davon. Institutsmarktforscher sollten Betriebsmarktforscher verstärkt zu „Helden des Erkenntnisgewinns“ machen. Je mehr dies gelingt, desto weniger wird die Sinnhaftigkeit von Marktforschung pauschal in Frage gestellt, desto mehr deren Potenzial und Nutzen erkannt. Zugleich – und dies stellt keinerlei Widerspruch dar – sollten agile Teams verstärkt befähigt werden, Marktforschung auch eigenständig planen zu können – ohne jedes Mal noch viel zu bürokratische und schwerfällige Wege über Betriebsmarktforscher gehen zu müssen. Auch davon profitieren der Stellenwert und der strategisch nutzbare Wert der Marktforschung insgesamt.
Entwickler, Ingenieure etc. haben oft andere Denkweisen als Marktforscher. Sie stehen der Marktforschung bei guter und verständlicher Vermittlung aber nicht per se kritisch gegenüber. Insbesondere dann nicht, wenn diese dazu verhilft, noch näher an die Kunden heranzurücken und noch bessere Lösungen zu erfinden.
Tipps und Impulse für die Praxis
Damit all dies schrittweise besser und konsequenter gelingt, und Customer-Insights ihr volles Potenzial auch auf strategischer Ebene entfalten können, an dieser Stelle noch ein paar ganz praktische Tipps:
- Vor grundlegenden geschäftlichen Entscheidungen und in Kernprozessen sollten relevante Customer-Insights systematisch ermittelt und integriert werden. Marktforschung stärker in Key Decisions einbinden.
- Marktforschung konzeptionell stärker an den für das eigene Unternehmen strategisch relevanten Fragen ausrichten – nur so lassen sich strategisch relevante Customer-Insights gewinnen. Einzelne Projekte stärker kontextualisieren und integrieren.
- Mehr Zeit in initiale Briefings und Konzeptentwicklung investieren.
- Mehr Kontinuität statt nur Ad hoc in der Marktforschung schaffen. Nur so kann schrittweise das „ganze Bild“ von den Kunden gewonnen und deren Bedürfnisse besser antizipiert werden.
- In der Marktforschung häufiger Szenariotechniken einsetzen – dies schafft die Basis für flexible Handlungspläne und korrespondierende Maßnahmen.
- Marktforschungsergebnisse im gesamten Unternehmen kommunizieren. Nur so kann schrittweise ein breiteres Bewusstsein für stärkere Ausrichtung auf die Belange der Kunden erfolgen. Fokus dabei auf grundlegende Erkenntnisse und Kernbotschaften legen, nicht auf zu viele einzelne Details.
- Handlungsempfehlungen zusammen mit Stakeholdern entwickeln. So kann mit Insight-Ergebnissen wirklich gearbeitet werden.
- Marktbearbeitende agile Teams sollten marktforscherisch unterstützt und begleitet werden.
- Methodisches laienverständlich erklären. Zugleich darauf achten, dass Methodendiskussionen nicht zur Nebelkerze werden, sich den eigentlichen Herausforderungen von der Kundenseite zu stellen.
- Kunden wissen in der Regel gut, was sie am Bestehenden stört oder begeistert. Ebenso können sie etwas konkretes Neues gut danach beurteilen, ob ihnen dieses zusagt oder nicht. Sie können aber nicht die ureigenste Aufgabe von Unternehmen übernehmen oder ersetzen, etwas Besseres und Neues zu entwickeln; dazu fehlt ihnen in der Regel das Know-how. Kurz: Kunden systematischer einbeziehen, aber nicht überfordern.
- Forscher sollten im Unternehmen regelmäßig überzeugende Erfolgsgeschichten vorbringen. Das können Fallstudien sein, die den Wert von Insights demonstrieren. Auch in der Verbreitung ihres eigenen Erfolgs sollten Forscher keinerlei falsche Zurückhaltung zeigen. Insgesamt gilt es, die Relevanz und die Rolle der Marktforschung – als austausch- und beziehungsorientiertes „Organ“ des Unternehmens nach draußen – zu vermitteln.
- Unternehmensverantwortliche sollten der Marktforschung bei Key Decisions vermehrt die Übernahme intelligenterer Aufgaben – und das heißt solche von strategischer Relevanz – zutrauen. Zugleich sollte sich die Marktforschung noch stärker und aktiver um die Übernahme solcher anspruchsvollen und komplexeren Aufgaben bemühen bzw. sich dafür anbieten. Auch und gerade im Kontext gemischter Führungsteams auf höheren Führungsebenen.
- Einführungen und maßgeschneiderte Schulungen anbieten, um neue Mitarbeiter im Onboarding zu fördern. In Projekt-Teams stärker auf Einbeziehung von Consumer-Insights achten.
- Marktforscher sollten zudem mehr Marketing in eigener Sache betreiben. Zugleich besseren Content bieten. „Content“ bedeutet auf Englisch wie Französisch „zufrieden“ (lateinisch: contentus). Content heißt zugleich „Inhalt“ – davon leitet sich auch der Begriff im Marketing ab („Think Content“). Der Inhalt sollte Leser/ Zuhörer/ Adressaten zufrieden stellen. Denn größerer Erkenntnisgewinn bei den Auftraggebern von Marktforschung bedeutet in aller Regel, dass diese zufrieden sind – auch dann, wenn manche Ergebnisse selbst mitunter zunächst nicht gefallen oder aufwühlen. Marktforschung muss, sollte und darf nicht gefällig sein. Es geht um Erkenntnisfortschritt, um die Schaffung neuer Handlungsoptionen und Handlungsräume für Unternehmen und Verantwortliche.
- Generell gilt daher: Customer-Insights, die sich darin erschöpfen, bereits erreichte Erfolge zu sichern und zu verwalten, greifen zu kurz; laufen angesichts der Dynamik der Märkte auf längere Sicht zwangsläufig immer hinterher. Begeisterung stiften für das erst noch zu Erreichende und den Weitblick gegenüber dem, was erst noch kommt, sind daher allgemeine Grundtugenden unternehmerischer Kultur, zugleich ein unmittelbarer Ansporn für eine Marktforschung, die ihr vornehmstes Ziel nicht aufgibt, aktiv dazu beizutragen, Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.
- Der Weg zu mehr Kundenzentrierung von Unternehmen ist kein Sprintprojekt. Und auch nicht ohne interne Hürden. Klagen oder Resignation helfen am Ende aber niemandem: weder den Kunden, noch Unternehmen, noch den Marktforschern. Auch kleinere Fort-Schritte und Erfolge sollten daher angestrebt und wertgeschätzt werden.
Überlegen Sie selbst noch einmal:
Bei welchen geschäftlichen Entscheidungen und in welchen Kernprozessen wurden bzw. werden Customer-Insights bisher in Ihrem Unternehmen systematisch genutzt? In welchen bisher nicht? Inwiefern sind der Marktforschung übergreifende strategisch relevante Fragestellungen überhaupt bekannt und werden systematisch untersucht und integriert? Sind Strategiethemen mit Blick auf die Kunden ausreichend übersetzt? Wie kann es gelingen, Customer-Insights noch besser an Unternehmensverantwortliche heranzutragen? Wie können grundlegende Insights im Unternehmen noch breiter bekannt gemacht werden? Wie das Verständnis für die Bedeutung von Customer-Insights gesteigert werden? Und: Was verbaut im Unternehmen bisher noch den Weg zu einem stärker und konsequenter kundenzentrierten Denken und Handeln? Wie kann das in Zukunft besser gelöst werden?
Interessiert an weiteren Informationen und am Austausch zum Thema Consumer-/Customer-Insights in strategierelevanten Kontexten? Dann sprechen Sie uns gerne an. Kontakt: Tanja Höllger – tanja.hoellger@heuteundmorgen.de – Telefon: +49 221 995 005-12.
Weitere Blogbeiträge zum Themenfeld finden Sie auch auf den Übersichtsseiten Marktforschung und Innovationsmanagement.
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