Unternehmen wollen ihren Kunden den Weg zu ihnen so leicht und einfach wie möglich machen. Aus gutem Grund: jeder Stolperstein auf der «Customer Journey» kann zu einem Beziehungsabbruch und verlorenem Geschäft führen.
Mit geeigneten Marktforschungsmethoden untersuchen viele daher die Reise der Kunden über die verschiedenen Kontaktpunkte hinweg bis zum Abschluss einer Zielhandlung (Kauf, Beratung etc.). Dabei werden mögliche Hürden und Abbruchstellen analysiert, spezifische Stärken und Potenziale einzelner Kontaktkanäle und Touchpoints beleuchtet, unterschiedliche „Reiseverläufe“ und Erfolgstreiber identifiziert – und im Nachgang konkrete Optimierungen eingeleitet.
Nun könnte man meinen, dass dieses im Marketing seit langem bewährte und selbstverständliche Vorgehen auch im Personalmarketing bzw. im Recruiting der Unternehmen seine Anwendung findet – schließlich reisen auch Bewerber in Etappen zu ihrem potentiellen (ersten oder neuen) Arbeitgeber.
Dem ist aber meist noch nicht so. Im Vergleich zur «Customer Journey» fristet die «Candidate Journey» in der Praxis bisher ein Schattendasein. Warum eigentlich? Spricht doch nichts dagegen, die Beziehungswege zu den ohnehin oft raren Bewerbern weniger einfach und attraktiv zu gestalten als die für die Kunden.
Hand auf’s Herz: Haben Sie in Ihrem Unternehmen schon mal die Candidate Journey bzw. die Candidate Experience genauer unter die Lupe genommen? Wissen Sie, über welche Kanäle und Stationen die Bewerber zu Ihnen gelangen? Welche Erwartungen und Wünsche diese für die ersten Bewerbungsschritte an Sie haben? Und vor allem auch: Wo und warum Bewerber die Reise zu Ihnen als möglichem Arbeitgeber abbrechen (ohne dass Sie dies überhaupt mitbekommen)?
Nicht weil Ihr Unternehmen an sich als Arbeitgeber unattraktiv wäre, sondern die Zugangswege zu Ihnen einfach zu beschwerlich sind.
Bewerbungswege oft noch wenig bewerberfreundlich
Bewerbungsprozesse erscheinen oft noch zu komplex, zu zeitaufwändig, zu sperrig – im Ganzen wenig bewerberfreundlich. So aber vergrault man Kandidaten und verpasst wichtige Chancen – zumal in einer Zeit, in der sich der Arbeitsmarkt längst vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt gedreht hat. Leider passiert dies viel häufiger als man denkt. Unternehmensintern wird der Mangel an Bewerbungen dann gerne oft einfach auf die äußeren Umstände eines „leergefegten“ Personalmarkts zurückgeführt, statt auch einmal kritisch die eigenen Prozesse und die Candidate Experience zu überprüfen.
Beispielsweise mögen manche Online-Verfahren zwar in modernem Gewand daher kommen, entpuppen sich in der Anwendung aber alles andere als einfach und smart. Studien ergeben beispielsweise immer wieder: Bewerber mögen keine Online-Bewerbungsformulare. Insbesondere wenn alle Fragen Pflichtangaben sind. Weil viele Unternehmen mittlerweile aber nur noch diesen Bewerberweg anbieten, beißen die Bewerber entweder in den sauren Apfel und füllen die Formulare aus oder sie brechen die Bewerbung einfach ab. Gerade qualifizierte Bewerber haben vergleichsweise noch weniger Lust, Online-Formulare auszufüllen.
Nur vereinzelt bieten Unternehmen bisher eine sogenannte „One-Click-Bewerbung“ an, bei der Bewerber einfach ein LinkedIn- oder Xing-Profil mit relevanten Informationen für Recruiter freigeben können und der erste Kontakt so vereinfacht wird.
Umdenken hat begonnen
Unter dem wachsenden Druck von Personalengpässen und Nachwuchsproblemen beginnen Unternehmen aber nun auch umzudenken. Aktuell prominentestes Beispiel ist die Deutsche Bahn: Hier wurde kurzerhand das bisher obligatorische Bewerbungsschreiben abgeschafft – zunächst für zukünftige Auszubildende. Ab Herbst 2018 soll damit der Bewerbungsprozess vereinfacht werden und eine mögliche Hürde ausgeräumt werden.
Vorbildlich zeigt sich auch BASF mit einem Bewerberchat: Ohne aufwendige Registrierung kann man hier unter Angabe von Name und Mailadresse Fragen zu Stellenausschreibungen, aber auch technische oder sonstige Fragen stellen. Auch via WhatsApp (freilich nur Mo-Fr von 9-17 Uhr) können Bewerber zu ihren Fragen eine schnelle Antwort erhalten.
Welche Wege und Tools das einzelne Unternehmen anbietet, um Bewerbungsprozesse und Zugangswege zu vereinfachen und im Ganzen bewerberfreundlicher zu gestalten, ist ihre Entscheidung. Hier spielen unterschiedliche Kriterien der Recruitingpolitik eine Rolle, den einen Königsweg gibt es hier nicht. Zentral erscheint aber, dass dies nicht mehr länger nur am grünen Tisch; sondern entlang der konkreten Erfahrungen der Bewerber selbst erfolgt.
Was der Organisation dient, kann für Bewerber selbst eher abschreckend sein und Beziehungsabbrüche auf der Candidate Journey geradezu provozieren. So freuen sich am Ende nur andere Unternehmen.
Bei der Candidate Experience gilt es auch die Eindrücke, die Bewerber bereits weit vor dem ersten Direktkontakt an Erfahrungen mit dem Unternehmen sammeln, genau zu analysieren. Mögliche Touchpoints sind hier: klassische Werbung (Anzeigen, TV- oder Radio-Spot etc.), die Unternehmenshomepage, der Karrierebereich der Website, Stellenanzeigen, Bewerberevents, mögliche Arbeitgeberauszeichnungen und spezielle Arbeitgeber-Bewertungsplattformen, unternehmenseigene Social Media Kanäle bis hin zur Meinung von Freunden und Bekannten.
Und die Reise hört auch nicht mit Übersendung der Bewerbung auf. Ganz zentral ist auch die erste Reaktion auf die Bewerbung und – sofern stattgefunden – das Bewerbungsgespräch.
Optimierung der Candidate Experience oft einfacher als man denkt
Erster Schritt der Untersuchung der Candidate Journey bzw. des Tests der Candidate Experience sollte darin bestehen, vorurteilsfrei den aktuellen Status zu ermitteln und zu messen. Wichtiger Fokus: Wo genau liegen die Stolpersteine für Bewerber auf ihrem Weg, zukünftig Teil des Unternehmens werden zu wollen?
Qualitative Interviews mit neuen Mitarbeitern (ihre Erfahrungen sind noch frisch) oder auch Bewerbern, denen abgesagt oder die selbst abgesagt haben, sind ein ideales Mittel die komplette Candidate Experience zu untersuchen und vermeidbare Hürden zu entdecken. Wichtig ist, dass hierbei DSGVO-konform rekrutiert wird.
Aber auch Online-Blitzumfragen sind eine sehr einfache und effektive Methode, um Bewerberfeedback zu erhalten. Diese können in unterschiedlichen Phasen der Candidate Journey eingesetzt werden – beispielweise nach oder mit dem Absenden der Antwort auf die Bewerbung, nach ersten Vorstellungsgesprächen, nach Abschluss des gesamten Bewerbungsverfahrens oder auch als Onsite-Befragung auf der Karriere-Website. Wichtig ist, dass diese Art von Umfragen nur wenige Fragen beinhalten und die Beantwortung der Fragen nicht allzu lange dauert, damit die Rücklaufquoten entsprechend höher sind.
Usability-Tests der Karriere-Website können weitere wichtige Optimierungspotenziale offenbaren: Wird diese auf der Website schnell gefunden? Wie ist das Klick und Scroll-Verhalten? Wie wirken die Gestaltung und die Bilder auf der Page? Wie ist die Menüführung? Gibt es überflüssigen Content, der hier lieber weggelassen werden sollte? Gibt es Kontaktangebote und werden diese leicht gefunden?
Aber auch die Stellenausschreibungen selbst sollten kritisch beleuchtet werden:
Wirken diese ausreichend motivierend und wertschätzend? Wird alles verstanden? Was ist überflüssig und was fehlt vielleicht noch?
Dies sind nur einige Fragen und Untersuchungsansätze, die man zur Analyse und Optimierung der Candidate Experience einsetzen kann. Ist einmal das Bewusstsein dafür geschaffen, ist die Umsetzung kein Zauberwerk und oft einfacher als man denkt.
Professionelles Candidate Experience Management hat viele positive Effekte
Ein gutes Candidate Experience Management wirkt sich in vielfältiger Weise positiv auf den Unternehmenserfolg aus: mehr Kandidaten bleiben (länger) im Bewerbungsverfahren, Bewerber sprechen (auch unabhängig vom Ergebnis) positive Empfehlungen aus, begeisternde Erfahrungen während der Candidate Jouney stärken die Arbeitgebermarke (Employer-Branding) und wirken sich wiederum positiv auf das Gesamtimage von Unternehmen aus.
Darüber hinaus profitiert ein Unternehmen von einer größeren Anzahl qualifizierter Bewerbungen. Der wertschätzende und professionelle Umgang mit Bewerbern führt zudem zu positiven Rückschlüssen auf die spätere Stellung als Mitarbeiter.
Kurz gesprochen: Während so manches Unternehmen talentierten Bewerbern eher noch wie eine abweisende Festung und wie ein Irrgarten erscheint, sollte Ihr Unternehmen vorne mit dabei sein, die Zugangswege spürbar offen, flexibel und vor allem auch einladend und gastfreundlich zu gestalten. So können die zunächst noch fremden Besucher schon bald Ihre neuen und geschätzten Kollegen sein…
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