Werte sind keine Ware, kein Spielzeug und keine Umhänge-Mäntelchen. Nur Unternehmen, die Werte aktiv leben, in der Praxis einen eigenen substanziellen Wertebeitrag leisten, können darauf hoffen, dafür dauerhaft wertgeschätzt zu werden.
Sollte man zentrale Werte benennen, an denen sich aktuelle gesellschaftliche Haltungen, Entwicklungen, Bewegungen und auch Konflikte kristallisieren, kommt man an Begriffen wie „Nachhaltigkeit“, „Soziale Gerechtigkeit“ und „Vielfalt“ kaum vorbei. Für Letzteres ist der „Kampf um den Regenbogen“ bei der Fußball-Europameisterschaft ein beispielhafter, symbolischer Ausdruck. Die Uefa hat durch ihr Verbot an die Stadt München, die Allianz-Arena als Zeichen der Toleranz und Vielfalt in Regenbogenfarben leuchten zu lassen (als Protest gegen ein homo- und transphobes Gesetz in Ungarn), zwar Symbolpolitik verhindert, der Debatte selbst damit aber erst recht Schub verliehen. Manche kommentieren in dialektischer Weise, man könne der Uefa dafür im Nachhinein sogar „dankbar“ sein. Auch im EU-Parlament hat der Streit zu erneuter Beschäftigung mit ihren fundamentalen Werten geführt.
Zugleich wachsen vor allem auf Seiten junger Menschen der Wunsch und die Forderung, dass sich auch Unternehmen zu solchen Werten verhalten. Verbraucher wollen, dass Unternehmen Werte vertreten, sichtbar machen und natürlich auch entsprechend handeln.
So setzen viele namhafte Unternehmen – wie etwa Adidas, Rewe oder auch große Versicherer und Banken – bereits auf die Macht der Regenbogenflagge. Als verallgemeinernder Ausdruck von Toleranz und Respekt gegenüber der Idee und Praxis einer „bunten“ Gesellschaft. Und im speziellen auch in Anerkennung der an ihrer unterschiedlichen sexuellen Identität orientierten LGBTQ-Communities.
Unternehmen treiben dabei – in jeweils individueller Ausprägung und Gewichtung – sowohl eigene Wertvorstellungen als auch ökonomische Interessen an. So ist der Wirtschaft beispielsweise nicht verborgen geblieben, dass LGBTQ-Zielgruppen besonders konsumfreudig und finanzstark sind. Ebenso nicht, dass Produkte, die für Toleranz und Vielfalt stehen, vor allem bei jungen Menschen und Käufergruppen beliebt sind. Und auch nicht, dass „weltoffene“ Unternehmen auf dem Personalmarkt deutlich größere Chancen haben, ihre Personalengpässe zu überwinden (sowohl was das Recruiting als auch die Mitarbeiterbindung betrifft). Ähnlich gilt dies auch für andere Wertefelder wie Nachhaltigkeit (Anm. d. Red.: siehe dazu unsere Themenübersicht zum Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen) oder Fairness. Werte können auch nützlich sein… Dies ist – wenn denn der eigene Werterahmen und die eigene Unternehmenspraxis dazu passt – auch keineswegs verwerflich.
Genau hier stellen sich aus Sicht vieler Bürger und Verbraucher dann aber auch Fragen. Nach der Glaubwürdigkeit und der Authentizität von Unternehmen und Marken, die wiederum entscheidende Pfeiler von Vertrauen sind.
Vertreten Unternehmen Werte aus eigenem und gutem Willen heraus? Oder nur aufgrund handfester eigener Interessen? Werden die Werte, auf die man sich bezieht, im Unternehmen tatsächlich gelebt oder nur instrumentalisiert? Ist hier bloß das Marketing aktiv, das sich modern und aufgeschlossen zeigen möchte, oder handelt es sich um entschiedene und verankerte Werthaltungen? Sind Unternehmen bereit, für Werte auch dann einzustehen, wenn damit mögliche Nachteile oder Mehraufwände verbunden sind? Oder sind ihre wertebezogenen Aktivitäten bloße Label, Image-Shows und Lippen-Bekenntnisse? Reagieren Unternehmen in Wertedisputen nur auf Druck von außen oder gestalten sie gesellschaftlich relevante Wertesysteme proaktiv mit? Werden Werte schnell wieder fallengelassen, wenn es konkret und mühsam wird?
Dass Verbraucher (wie auch Mitarbeiter), die von Unternehmen nach außen getragenen Werte und Versprechen nicht einfach fraglos positiv aufnehmen – sondern zunehmend auch kritisch hinterfragen – zeigt die Verbreitung entsprechend negativ konnotierter Begriffe wie „Green-Washing“, „Pink-Washing“, „Queer-Baiting“ oder weitere. Wer Werten nicht nur beipflichtet, sondern diese für sich in Anspruch nimmt, muss zeigen, dass er dem gerecht wird. Oder er kann nicht damit rechnen, auf Dauer wirklich ernstgenommen zu werden.
Manch plumpe, naive und substanzlose Marketingaktionen befeuern dies – rein hausgemacht. Wertebekenntnisse mutieren hier bisweilen zur Farce und beliebigen Sprücheklopferei. Über harsche Kritik, über Investigation, Entlarvung und Verhöhnung und Shitstorms in den sozialen Medien braucht sich dann keiner zu wundern. Mit Werten sollte man nicht spielen, nicht wohlfeil bei lauem Lüftchen damit spazieren und hausieren gehen.
Doch was folgt?
Vom Wertejahrmarkt und der Selbstverliebtheit zu entschiedenem werteorientierten Handeln
Unternehmen tun daher gut daran, ihre eigenen Wertesysteme – und die damit verbundene Kommunikation – auch selbst kritisch zu hinterfragen und weiter zu entwickeln. Fundamente und Substanz dafür zu schaffen. Oft wird man dabei noch feststellen, dass der Mund von manchem noch zu früh zu voll genommen wird. Dass Anspruch und Versprechen und Realität und Handeln noch wenig miteinander zu tun haben. Ebenso, dass Markenwerte und manche Marketing- oder PR-Aktion deutlich auseinanderfallen, kaum integriert sind.
Zugleich zeigt sich auf der anderen Seite aber auch, dass manche Unternehmen, die deutlich weniger laut als andere sind, sich bereits viel mehr und sehr viel konsequenter für bestimmte Werte einsetzen, als es Öffentlichkeit und Verbraucher wissen und wahrnehmen.
Weniger Aktionismus in Marketing und der PR, besonnenere, authentischere Integration von Grundfragen der eigenen Markenpositionierung und Markenentwicklung – das täte manchem Unternehmen gut. Durch mehr Besonnenheit und Bescheidenheit, durch weniger Schreierei, vermeidet man auch das ständige Hineinstolpern in die Notwendigkeit nachlaufender Krisen-PR.
Andere Unternehmen können hingegen überlegen, wie sie ihre tatsächlichen und aus Überzeugung gespeisten Leistungen und ihren ganz konkreten Einsatz für bestimmte Werte sichtbarer machen – mit aller Bescheidenheit und Demut angesichts des Wissens, dass Werte nicht nur einmal eingelöst werden und dann für immer gegeben sind, sondern wenn man sich ernsthaft dazu bekennt, dauernde Aufgabe, Anforderung und Arbeit bleiben. Das unterscheidet Gestalter und Vorbilder von Mitläufern, Kopierern und Trittbrettfahrern. Das unterscheidet echte, substanzbasierte Marken von Pseudo-Marken.
Einmal metaphorisch gesprochen: Einen Regenbogen am Himmel zu sehen, macht vielen Freude. Einen Regenbogen an das eigene Revers zu heften ist – zumindest hierzulande – einfach, nicht heroisch. Einen Regenbogen vom Himmel zu holen, oder sogar selbst einen tanzenden Regenbogen zu gebären, braucht sehr viel Kreativität. Eine Passion für Regenbögen lässt sich nicht „machen“, sondern nur in sich finden oder im anderen befördern. Und einen Regenbogen vor Ignoranz, Widerständen und Angriffen zu verteidigen, braucht Selbstbewusstsein, Mut und Leidensbereitschaft.
Licht leuchtet nur im Dunkeln. Werte strahlen nur, wenn diese auch dann Bestand haben, wenn Wolken aufziehen. Wenn sie nicht käuflich, nicht beliebig manipulierbar oder auswechselbar sind. Wenn sie nicht angeklebt, sondern gelebt werden. Nur Zeichen setzen und benutzen reicht nicht.
Eigenes Wertebewusstsein ist elementar für die Gestaltung der eigenen Zukunft
Aus der Vogelflugperspektive werden erst die nächsten Jahre und auch Jahrzehnte zeigen, was gesellschaftlich und in Unternehmen ganz konkret aus Werten wie Vielfalt, Nachhaltigkeit oder sozialer Gerechtigkeit/Verantwortung werden wird (nicht zuletzt auch in puncto damit verbundener sozialer Fragen und sozialer Scheren, die aktuell hinter überwiegend konsensualen Themen wie Nachhaltigkeit und Vielfalt noch zurückstehen).
Für Unternehmen ist daher jetzt Zeit, Wertegerüste zu überprüfen, zu orientieren, zu definieren, zu justieren, zu positionieren. Wo sinnvoll, wo notwendig, wo überfällig auch neu und anders als bisher. Dabei geht es immer um das Spannungsverhältnis von Bewegen und Bewahren. Um fundamentale Unternehmenswerte, Markenwerte. Um Werte, die für das eigene Unternehmen und für die Kunden, und deren Beziehung zueinander, relevant sind. Eine tragende und führende Rolle spielen können und sollen.
Derzeit steht vieles unter Wertegesichtspunkten auf dem Prüfstand: Leitbilder, Unternehmensziele, Angebotsgestaltung, Kommunikation, Geschäftsmodelle, Geschäftsprozesse etc. Der Ausgang der Entwicklung ist offen. Fest steht: Werte und deren Realisierung gibt es nicht en passant und zum Nulltarif. Nicht ohne Auseinandersetzung, nicht ohne Substanz und Ernsthaftigkeit, nicht ohne Ausdauer, nicht ohne Konsequenz. Zahlreiche neue Chancen, aber auch manche neuen Risiken, sind bereits jetzt am Horizont sichtbar. Das Schöne dabei ist: Sind Werte einmal verinnerlicht, fällt es leicht, diese mit Freude, Beherztheit und in Entschiedenheit vorzuleben. Fragil sind hingegen Unternehmen, Gesellschaften und Kulturen ohne tragfähige Werte. „Wertfrei“ und „wertlos“ zu sein, ist keine Lösung (Toleranz für andere als nur eigene Wertvorstellungen aufzubringen hingegen schon).
Spannende Zeiten und viele neue Fragen im Wertewandel und Wertediskurs stehen uns bevor. Wer sich als Unternehmen dabei jetzt nicht die Zeit nimmt, sich neben dem Geschäft im Hier und Jetzt mit fundamentaleren, wertebezogenen und damit immer auch verbundenen strategischen Fragen zu beschäftigen, wird seine Zukunft am Ende nicht nur aus den Augen verlieren, sondern verspielen.
Dabei kann die Beschäftigung mit den eigenen Werten nicht Aufgabe für irgendwelche Hinterzimmer oder für kurzfristig ausgerichtetes Marketing sein. Sondern vor allem eine Aufgabe für verantwortliche Entscheider und für deren relevante Dialog- und Sparringspartner. Am Ende für das ganze Unternehmen. Dabei geht es auch um Fragen wie: Welche Werte passen zu uns? Welche Werte können wir tatsächlich einlösen? Wie wollen wir welche Werte konkret leben und vorleben? Wo schließen wir uns Werten und deren Ausdrucksformen an? Mit wem schließen wir uns zusammen? Wo wollen wir möglicherweise selbst Vorreiter und Vorbild sein?
Dabei können Sie sicher sein, dass wir Ihrem Unternehmen auch in Wertefragen als engagierte, über den Tellerrand hinausschauende Forscher und Berater zuverlässig und tatkräftig zur Seite stehen.
Interessiert am weiteren Austausch zum Umgang mit Werten in der dynamischen Wechselbeziehung von Marken und ihren Kunden? Dann sprechen Sie uns gerne an. Kontakt: Tanja Höllger – tanja.hoellger@heuteundmorgen.de – Telefon: +49 221 995 005-12.
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