Unternehmen sind heute gezwungen sich mit Themen wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz oder dem Internet der Dinge auseinanderzusetzen. Daran besteht zunächst kaum Zweifel. Freilich ist dies in der Regel mit hohen Arbeitsaufwänden und Investitionen verbunden. Daher stellen sich wichtige Fragen: Bringen Digitalisierung & Co. überhaupt einen konkreten Nutzen? Wenn ja: Welchen? Und nicht zuletzt: Wem?
Schließlich sollten Digitalisierungsprojekte kein Selbstzweck oder stylische Moden sein, sondern müssen, wie jede andere Investition auch, auf Dauer einen nachhaltigen Nutzen und Mehrwert erzielen.
Um beispielsweise das Internet der Dinge der Allgemeinheit zugänglich und nutzbar zu machen, liegt die wichtigste Hürde heute nicht mehr im Bereich der Konnektivität als vielmehr bei den Daten. Diese müssen aus verschiedenen Devices ausgelesen werden, um dann herauszufinden, was sie bedeuten. Technologische Innovation allein reicht nicht aus. Innovative Lösungen, wie die Daten überhaupt verarbeitet und verstanden werden sollen, sind aber oft noch selten. Daten interpretieren sich nicht von selbst, auf ihrer Basis getroffene Entscheidungen rechtfertigen sich ebenso wenig durch sich selbst. Vor allem aber: Warum sollten Menschen auf Dauer ihre Daten überhaupt freiwillig zur Verfügung stellen, deren Verarbeitung sich Verstehens-Prozessen und der Transparenz entziehen – und deren (Kunden-)Nutzen zugleich mitunter fragwürdig bleibt? Brauchen und wollen wir – außer ein paar Technik-Verliebten – beispielsweise sprechende und selbst einkaufende Kühlschränke? Aktuell dürfte sich mancher auch fragen, ob er sich wirklich einen Smart Speaker in seine Wohnung stellen möchte, der permanent zuhört und Spracheingaben dauerhaft speichert und diese – wie im Fall von Amazon kürzlich passiert – dann versehentlich sogar an Dritte herausgibt. Auch diverse Facebook-Datenskandale sind nur Glieder einer bereits langen Kette von Übergriffen und Verirrungen des digitalen Zeitalters.
Ein aktuelles Beispiel aus der Praxis zeigt: Kunden von Krankenversicherern sehen einen deutlichen Mehrwert darin, ihre Rechnungen bequem per App scannen und zuschicken zu können. Das hat Vorteile für Kunden und Anbieter. Ob man als Versicherer allerdings einen Skill für „Alexa“ entwickeln muss, mit dem der Kunde lediglich nach den Kontaktdaten fragen kann, bleibt fraglich, ist aus Kundensicht eher reine Spielerei oder Geldverschwendung.
Auch in anderen Fällen kommt man mitunter zum Schluss, dass nicht alles digitalisiert werden muss, was digitalisiert werden kann.
Verspielt das Digitale seinen Kredit?
Erste Anzeichen mehren sich, dass das Pendel zurückschlägt. Zunehmend werden für die digitale Welt Regulierungen, Transparenz, informationelle Selbstbestimmung und vor allem auch konkreter Alltagsnutzen für die Kunden und für die Allgemeinheit eingefordert. Bei den für Digitalanwendungen unverzichtbaren Daten geht es zunehmend um Fragen wie: Wem gehören diese? Wer weiß davon? Wer entscheidet über deren Verwendung? Und wer entscheidet, wer entscheiden darf?
In Politik, Öffentlichkeit und bei „Otto Normalverbrauchern“ ist zunehmende Skepsis spürbar. Fortschrittsversprechen von Digitalisierung, KI oder IoT werden mittlerweile nicht mehr so einfach geglaubt und Vertrauen geht verloren. Droht möglicherweise sogar ein „digitaler Burnout“? Zumindest ist die digitale Anfangseuphorie verloren gegangen. Darüber können schicke Smartphones und unzählige digitale Gadgets nicht hinwegtäuschen.
Mehr echte Innovation erforderlich
Wo aber liegen Chancen für wirklich Neues? Speziell der Bereich der digitalen Plattformökonomien erscheint mittlerweile weitgehend abgegrast. Echte Innovationen in puncto Kundennutzen sind selbst aus dem Silicon Valley in den letzten Jahren rar geworden. Auch sehr lange schon angekündigte Versprechen – wie etwa das autonome Fahren – werden im Alltag noch viele Jahre auf sich warten lassen. Aktuell sind eher Stagnation und ein Mehr des Gleichen denn echte Innovation sichtbar. Und vieles mehr hinter als auf der Bühne.
Wollen das Digitale, die KI und das IoT jenseits von B2B-Märkten nicht bloße Verheißungen oder gar Bedrohungen bleiben, wollen Chancen genutzt werden, muss mehr sichtbarer und spürbarer Nutzen geliefert werden. Nicht nur generell Machbares und Denkbares – oder von Menschen gar nicht Gewolltes. Mit Spielereien, ungesteuerter und intransparenter Massendatensammlung, selbstreferentiellen Anwendungen – und vor allem einem Denken über die Köpfe und Herzen der Menschen / Konsumenten hinweg – wird dies auf Dauer kaum gelingen. Das vertieft nur eine bereits bestehende Kluft.
Eine Konsequenz kann daher nur lauten: Weg vom digitalen Hype und Buzzing, stattdessen stärkere Hinwendung zu konkreten Bedarfen und Wünschen der Menschen im Alltag. Zu digitalen Lösungen statt digitaler Selbstbeschau. Am Ende geht es darum, das Leben von Menschen (auch) mittels des Digitalen einfacher, bequemer, reicher, „glücklicher“ zu machen. Fraglich bleibt, ob dies bisher in überzeugender und ausreichender Form gelingt.
Was unternimmt das eigene Unternehmen im digitalen Feld?
Auch mit konkretem Blick auf das jeweils eigene Unternehmen – dessen Zukunftsausrichtung und dessen Kundenbeziehungen – erscheint es höchste Zeit, den Nutzen des Digitalen nach außen unter Beweis zu stellen; die Schaffung echter Benefits für die Kunden und auch die Gesellschaft stärker in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen. Unter anderem heißt das:
- Es muss eine klare Digitalisierungsstrategie formuliert werden, die nicht primär auf Technologie oder rein organisationale Transformation fokussiert, sondern auf neue Geschäftsmodelle, auf wirkliche Innovationen und echten Kundennutzen abzielt. Haben wir solche Strategien? Was bieten wir als attraktive digitale Lösungen an? Welche Zielmärkte wollen wir damit bedienen?
- Technologischer Wandel hat – auch wenn dies nicht gleich offensichtlich ist – immer auch und teils ganz erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmensmarke und die Kundenbeziehungen. Gerade die Beziehung zu Kunden muss in digitalen Transformationsprozessen sorgfältig beachtet werden. Idealerweise schon im Vorfeld von deren Einführung. Wer über den Kopf der Kunden hinweg regiert, kann im Markt wichtiges Vertrauen verlieren. So kann beispielsweise ein stark digitalisiertes Kundenmanagement leicht zum Verlust von Nähe und Bindung führen. Wollen wir das? Wenn nein: Handeln wir auch entsprechend? Was macht das Digitale insgesamt mit unserer Marke? Wo liegen neue Chancen, wo die Risiken?
- Um echte Kundenbedürfnisse und substanzielle Kundenwünsche bzgl. digitaler Angebote einzulösen – und damit verbundene neue Chancen zu nutzen – bedarf es eines regelmäßigen Dialogs mit den Kunden, keiner Geheimniskrämerei. Meist sind die Kunden auch kreativer als jeder „grüne Tisch“. Führen wir einen solchen Dialog? Wissen wir ausreichend darüber Bescheid, was die Kunden sich an digitalen Innovationen tatsächlich von uns wünschen?
- Digitale Konzepte und vor allem deren Nutzen müssen aktiv kommuniziert werden: transparent, überzeugend und zugleich entwicklungsfähig im Dialog mit den Kunden.
Tun wir das mit Authentizität und Begeisterung? Oder sehen wir unsere Kunden nur noch aus der Distanz und als „Masse“? Kennen die Kunden unsere Digitalisierungsangebote überhaupt? - Völlig durchdigitalisierte Unternehmen mutieren am Ende letztlich zu unpersönlichen, mehr oder weniger intelligenten Funktions-Automaten. Für manche Firmen und einige Geschäftsmodelle mag dies durchaus der Weg der Wahl sein, längst aber nicht für alle.
Wie stehen wir im eigenen Unternehmen dazu? Was sind unsere eigenen Konzepte? - Auch unternehmensintern geht es bei digitalen Veränderungen und Neuausrichtungen um Vertrauen, Überzeugung, Vorbereitung, Weiterbildung. Die ängstliche Frage „Was wird angesichts des Wandels morgen aus mir?“ kann ganze Belegschaften lähmen – eine klare Vision hingegen vermag spürbar zu beflügeln. Wo stehen wir hier im internen Dialog?
Generell gilt: Jedes einzelne Unternehmen sollte gegenüber „dem Digitalen“ – und seiner diesbezüglichen eigenen Verortung und Angebotsgestaltung – offen, neugierig, wachsam und kritisch bleiben. Chancen ebenso wie Risiken, fruchtbare Wege ebenso wie Irrwege erkennen und ausloten. Reflektiert, zugleich mutig und entschlossen handeln, wobei in manchen Fällen auch ein Verzicht auf Digitalisierung eine sehr sinnvolle Handlung sein kann. Es gilt: Was man kann, muss man nicht müssen. Was man will, muss man auch können. Und was sein soll, muss man dann auch tun! In welche Richtung es im eigenen Unternehmen in puncto Digitales, KI, IoT & Co. zukünftig weitergeht, obliegt keiner Zwangsläufigkeit, sondern eigenen Entscheidungen und Gestaltungen. Über deren Attraktivität und Nutzen entscheiden am langen Ende freilich andere Menschen: Als Kunden, als Verbraucher, als Gesellschaft. Es lohnt, mit diesen im Dialog zu bleiben. Auf Dauer – davon sind wir überzeugt – werden Unternehmen vorn liegen, die mit digitalen und anderen Mitteln echte Innovationen und neuen Nutzen stiften; die ein Versprechen formulieren, Vertrauen und Gegenseitigkeit anstreben, nicht nur eigenes Interesse. Unternehmen, die auch im digitalen Zeitalter die Schaffung und Pflege guter und begeisternder Kundenbeziehungen und auch ihren Beitrag zu einer lebenswerten Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren. All dies ist möglich, wenn man es will. Wir wünschen Ihnen dabei gutes Gelingen!
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