Seit einigen Jahren heißt es hierzulande wie selbstverständlich: Die intelligenten Maschinen und interaktiven Roboter kommen. Nicht nur in der Industrie 4.0, auch im ganz gewöhnlichen Alltag: Im Haushalt, beim Einkaufen, in der Postzustellung, im Straßenverkehr, in der Altenpflege und weiteren Lebensbereichen. Noch sind die Roboter selten wirklich da. Vereinzelt und in einfacher Form vielleicht als Putz- oder Mähroboter bereits im häuslichem Einsatz, meist aber nur als Prototypen im Rahmen von Test- und Pilotprojekten oder in Zukunftswerkstätten zu bestaunen.
Einkaufsroboter als Symbole und Vorboten einer neuen Zeit?
Markantes Beispiel sind – nebst autonom fahrenden Autos – Einkaufsroboter im Retail-Handel.
Und zwar solche, die nicht nur in der Handelslogistik im Hintergrund zum Einsatz kommen können, sondern auch solche, die am POS direkt mit den Kunden in sozialen Kontakt treten.
Die möglichen Anwendungsfelder sind vielfältig: Als Lotse bei der Suche nach gewünschten Produkten in der Großfläche, als sprachgesteuerte oder touchscreen-geführte mobile Einkaufsberater, als Promo-Bots, als selbstfahrende Robo-Einkaufswagen, die einen auf Schritt und Tritt begleiten. Oder auch als Roboter, die einem die Einkaufstaschen bequem nach Hause tragen bzw. fahren. Mal erscheinen die Einkaufsroboter äußerlich in „humanoidem“ Gewand, heißen Paul, Pepper oder Gita. Andere sind funktionaler gestaltet, testweise als Wiigo oder Shopping Cart Robot unterwegs. Zukunftsvisionen sind also auch im Einzelhandel auf dem Vormarsch.
Fast schon wie kalter Kaffee – und dies noch weit vor jeder flächendeckenden Einführung im stationären Handel – wirken da bereits ortsgebundene Touch-Display-Stände. An diesen können sich die Kunden im Laden interaktiv informieren oder virtuelle Online-Einkäufe mit Nach-Hause-Lieferung aus dem Laden heraus tätigen. Vom Online-Shopping ist man dies längst gewohnt.
Ganze Unternehmen können maschinisierte Gebilde werden
Auf gewisse Weise noch deutlich weiter als einzelne Robotik-Systeme gehen komplett digitalisierte Einkaufsstätten. Solche, in die die Kunden nach vorheriger Registrierung per App einfach reingehen, sich das nehmen, was sie möchten und wieder rausgehen – und natürlich zeitnah die Rechnung auf dem Smartphone präsentiert bekommen (Einkauf ohne Kasse). Der „Amazon-Go“-Supermarkt in Seattle oder der im Nobelambiente gestylte Konzeptstore „4 Le Casino“ in Paris gehen in diese Richtung.
Wohlgemerkt sind all dies bereits realisierte, wenn auch bisher singuläre, prototypische Anwendungen. Ganze Unternehmen, auch der stationäre Handel und nicht nur Online-Verkaufsplattformen, könnten mittels Digitalisierung, Maschinisierung und Roboterisierung zu Funktionsgebilden werden, die in ihrer Logistik und am POS kaum mehr Menschen benötigen. Sich einer menschlich-sozialen inneren Verfasstheit und Organisation weitgehend entkleiden.
Ist das Beschriebene nur Spielerei, bloße Technikbegeisterung, PR-Gag, allenfalls nischen-anwendungstauglich, geschicktes Marketing nutznießender Unternehmen und Berater (aus der IT, Sensortechnik, Robotik und benachbarter Felder)? Werden intelligente Maschinen und Roboter den stationären Handel und unser gesamtes Einkaufsverhalten in der Breite verändern, gar schon bald revolutionieren? Nur die eine Antwort auf solche komplexen Fragen gibt es nicht.
Zukunft ist offen und keine Einbahnstraße
Nun gilt zunächst einmal: Technisch Mögliches und Gestaltbares fällt nicht einfach so vom Himmel. Auch mobile intelligente Roboter werden daher nicht von alleine kommen: Sie werden von Menschen mit bestimmten Interessen zur Erreichung bestimmter Ziele erschaffen, programmiert, angewendet und genutzt – oder umgekehrt auch ignoriert, ungenutzt gelassen oder sogar aktiv bekämpft. Nichts folgt hier – außer in ideologischen Betrachtungen – quasi naturhafter oder rein technischer Zwangsläufigkeit.
Innovationen sind nur lebensfähig, wenn sie von Menschen getragen werden
Zugleich ist zu beachten: viele technische wie auch anderweitige Innovationen floppen oder werden – aus unternehmensinternen wie externen Gründen – wieder verworfen: Wenn sie zu früh am Markt sind, nicht ausgereift sind, zu kostspielig sind, Menschen zu sehr beängstigen, strategisch nicht sinnvoll erscheinen, nicht mehrheitsfähig sind, an grundlegenden Bedürfnissen vorbeizielen, keine anhaltende Begeisterung oder zumindest erforderliche Akzeptanz schaffen bzw. finden etc.
So sind Deutschland und andere Länder bspw. freiwillig aus der Atomenergie ausgestiegen.
Weiteres Beispiel: die Brennstoffzelle – die schon vor rund 180 Jahren erfunden wurde und im Automobilsektor prototypisch bereits vor etwa 60 Jahren eingesetzt wurde, wird erst heutzutage systematisch Richtung Serienreife weiterentwickelt. Auch die uns vor vielen Jahren bereits versprochenen intelligenten Chat-Bots als Ersatz für zwischenmenschliche Kundenkommunikation dümpeln bisher vor sich hin. Welches Unternehmen hat hier bis heute wirklich mehr als – bisweilen äußerst banale – Gadgets zu bieten und relevante Nutzerzahlen erreicht? Ob nun „Alexa und Co.“ als sprachgesteuerten Bots ein großer Durchbruch gelingt, bleibt abzuwarten.
Andere technische Innovationen setzen sich hingegen – in unterschiedlichen Geschwindigkeiten – in breiter Form oder in Nischen durch, begeistern oder gehören später einfach zum ganz gewöhnlichen Alltag. So wie es früher etwa Geldautomaten, der SB-Handel oder in diesem Jahrzehnt der Online-Einkauf via Internet bereits getan haben. Kurz: Innovationen, die über Labor- und Experimentierstadien hinauswollen, bedürfen – implizit oder explizit -zwischenmenschlicher Vereinbarungen. In Unternehmen, in Märkten, in der Gesellschaft…
Das – vom Original des Schriftstellers Victor Hugo etwas abgewandelte – Zitat: «Keine Armee der Welt hält Ideen auf, deren Zeit gekommen ist», oder in Variation auch: «Es gibt keine stärkere Idee als eine, deren Zeit gekommen ist», sagt im Kern bereits aus: Ideen oder technische Möglichkeiten entscheiden nicht selbst und per se über ihren Erfolg. Sie brauchen vielmehr etwa, das ihnen erst zum Durchbruch und zu Stärke verhilft. Sie weiter trägt, lebendig und letztlich alltagstauglich werden lässt. Dass die Zeit reif für etwas sein muss. Konkret für handelnde und beteiligte Menschen.
Ob und wann dies im Falle von Einkaufsrobotern oder ähnlichen Robo-Anwendungen in nennenswertem Umfang der Fall sein wird, ist zunächst einmal noch fraglich und offen. Auch wenn manche Medien oder Profiteure bisweilen phantasiereich und vollmundig vorspielen, die mögliche oder allenfalls singuläre Realität sei bereits tatsächliche oder weit verbreitete.
Revolution oder Evolution im Handel?
Naheliegender als große, schnelle oder flächendeckendere Revolutionen erscheinen eher schrittweise Evolutionen und umgrenzte Einsatzfelder. Etwa spezielle Robo-Stores für in hohem Maße technikbegeisterte Zielgruppen oder digitale Eliten; primär imagebildende vereinzelte Konzeptstores. Roboterisierte Einkaufshilfen für alte und behinderte Menschen oder Schwangere. Drohnen-Lieferdienste in entlegenere ländliche Gegenden etc.
Seriösere Zukunftsforscher gehen von flächendeckenden Umsetzungszeiträumen von 20 oder 30 Jahren aus – freilich oft noch ohne die ganze Rechnung zu machen: Mit der dafür grundsätzlich erst einmal erforderlichen Investitionsbereitschaft der Unternehmen. Oder – oft völlig vernachlässigt – mit Berücksichtigung der Bedürfnisse, Wünsche und Akzeptanz der Kunden, wie auch der Gesellschaft insgesamt. Das alles wird letztlich aber entscheidend sein. Gerechnet werden sollte bei größeren Trends zudem immer auch mit gegenläufigen Bewegungen: Etwa mit dem Festhalten am Wunsch nach Haptischem, Taktilen und Persönlichem beim Einkaufen. Oder auch einer möglichen Renaissance oder Neubewertung qualifizierter, kreativer und menschlich zugewandter Fachberatung und Dienstleistung, die heute nur noch selten zu finden ist.
Die Frage, ob, in welcher Art und in welchem Umfang Roboter und andere maschinelle und digitale an den POS kommen, ist mit dem bloßen Vorhandensein der technischen Möglichkeiten nicht per se oder auf irgendeine Weise „automatisch“ bereits entschieden.
Ein Blick auf die Kunden
Marktforschungsergebnisse zeigen: Einem Teil der Konsumenten erscheint es aktuell eher gleichgültig zu sein, ob hinter Servicequalität nun Menschen, Computer, Automaten, Roboter oder von Menschenhand geschaffene Algorithmen stecken. Hauptsache: Service und Beratung sind am Ende gut, kundenfreundlich und zeitnah verfügbar.
Dies heißt aber nun nicht zugleich, dass sich Kunden wünschen oder aktiv danach suchen würden, im Alltag von Robotern statt von Menschen bedient oder von diesen begleitet zu werden. Oder dass Konsumenten, indem sie ausgewählte Waren selbst scannen, quasi zu Angestellten von Unternehmen werden wollen. Oder dass sie in digital funktionierenden und sensorisch-rundumüberwachten Supermärkten bis ins letzte Bewegungs- und Verhaltensdetail vollends zum gläsernen Kunden werden wollen. Oder dass Kunden die soziale und zwischenmenschliche Dimension des Einkaufens und den Kontakt mit dem Verkaufspersonal verlieren wollen. Oder dass ihnen die – in weiten Teilen erst noch bevorstehende – Debatte über gesellschaftliche und arbeitsmarktrelevante Konsequenzen der fortschreitenden Digitalisierung, Maschinisierung und Roboterisierung – egal wäre oder diese völlig folgenlos bliebe. Dies alles gilt es erst in puncto Akzeptanz, Kundenwünsche, Folgewirkungen etc. genauer zu betrachten.
Andere Marktforschungsergebnisse zeigen zugleich, dass via Internet oder andere technische Systeme depersonalisierte Kundenbeziehungen auch zu regelrechten Verkaufshemmern werden können, das oft beklagte Anbieter-Hopping zudem geradezu provozieren.
Zukunft bleibt von daher unberechenbar. Birgt neben neuen Möglichkeiten und Chancen immer auch neue Gefahren und Grenzen, ist nicht allein technisch machbar.
Fragen und Ausprobieren lohnt sich
Dies ist jedoch kein Grund, sich damit nicht heute bereits intensiv zu beschäftigen. Im Gegenteil: Für Unternehmen lohnt es sich, in Szenarien vorzudenken, die eigene Identität und die Beziehungen zur Mit- und Umwelt als bewegliche zu begreifen. Dabei stellen sich viele Fragen:
Was bedeutet – am konkreten Fall von Einkaufs- oder Beratungsrobotern gedacht – deren breiterer Einsatz für jetzige Geschäftsmodelle, für die Mitarbeitenden, für die Kunden, für die Kundenbeziehungen? Was für die eigene Marke?
In welcher Weise dient dies dem Unternehmen, seinen Zielen? In welcher den Kunden? Welcher neue Nutzen und Mehrwert wird damit geschaffen? Hat dieser Begeisterungspotenzial? Wo liegen Risiken und Gefahren? Ist es sinnvolle Strategie, bspw. aus Kostensenkungsgründen den persönlichen Kontakt mit den Kunden auf ein Mindestmaß zu reduzieren, diesen sogar fast ganz zu verlieren? Für welche Zielgruppen sind robotechnische Anwendungen am POS interessant und relevant, für welche möglicherweise völlig irrelevant oder sogar abstoßend? Wie wirkt sich Roboterisierung auf die zukünftige Markenpositionierung und die Markenführung aus? Wie sollen freigesetzte Ressourcen künftig verwendet werden. Welche neuen Aufgaben entstehen im Wandel?
Welches konkrete Unternehmensbild und welches Kundenbild, welche Vorbilder, welche Menschen- und Gesellschaftsbilder leiten uns in die Zukunft? Und nicht zuletzt: Was sagen jetzige und mögliche zukünftige Kunden und die eigenen Mitarbeitenden zu den möglichen Vorhaben?
Auslauf- und Zukunftsmodelle
Es lohnt sich, sich solche und ähnliche Fragen im Rahmen von Szenarien frühzeitig zu stellen und möglichst konkret zu beantworten. Denn was, wo, für wen, warum und in welchem Umfang Auslaufmodell ist oder Zukunftsmodell wird – das beantwortet sich nicht von selbst. Jedes Unternehmen muss solche identitäts- und beziehungsrelevanten Fragen für sich beantworten. Und Zukunftsbilder entwerfen, die positiv und tragfähig sind. Darin seine eigenen Ausrichtungen und Wegmarken finden. Es tut dies übrigens auch, wenn es nur etwas kopiert oder diffus und unsicher mit- oder hinterherschwimmt.
Identitäts- und Beziehungsgestaltung ist gefragt
Unternehmen und deren handelnde Personen stehen in dieser Perspektive vornehmlich daher weniger vor der Aufgabe eines digitalen, maschinellen oder roboterunterstützen Wandels an sich – dies sind lediglich funktionale Mittel, die unter bestimmten Zielperspektiven und Strategien zum Einsatz kommen können, freilich nicht müssen. Sondern zunächst einmal vor einer viel grundsätzlicheren, gleichwohl nicht selten übersehenen oder vernachlässigten, Aufgabe: Dem möglicherweise richtungsweisenden Wandel ihrer eigenen Identität, ihrer Beziehungen und ihrer Marke.
Hier liegen die elementaren Fragen, Entscheidungserfordernisse und Gestaltungsaufgaben der Zukunft. Erst damit verbunden entscheidet sich die Wahl der Mittel, so wie es beispielsweise Einkaufsroboter oder auch andere Formen der Digitalisierung, Maschinisierung und Robotisierung sein können. Mittel und Tools sind kein (Selbst-)Zweck, kein Konzept, kein Ziel. Erst letztere machen deren Einsatz überhaupt erst sinnvoll und erfolgstauglich.
Wir wünschen Ihnen auf diesem Weg gutes Gelingen und unterstützen Sie gerne bei verbundenen Marktforschungsfragen und bei der Entwicklung und Evaluation zukunftsrelevanter Szenarien und Anwendungstests.
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