„Türsteher“, „Zollstationen“ oder „Gatekeeper“ werden sie genannt – je nach Perspektive auch „Möglichmacher“, „Wegelagerer“ oder „Parasiten“: Die digitalen Plattformen wie Google, Amazon, Facebook & Co. mit ihren Suchschlitzen, Algorithmen, Steuerungssystemen und Vermarktungsmodellen. Fest steht: Plattformen sind ein zentrales Geschäftsmodell in der digitalen Ökonomie.
Sie haben sich im Markt an entscheidender Stelle positioniert: Als Mittler zwischen Angebot und Nachfrage bringen sie Käufer und Verkäufer unmittelbar zusammen, stehen in direktem Kontakt zu den Konsumenten, entscheiden, wer im Ranking oben steht und wer nicht, sind selbst zu Marken geworden und besitzen durch all dies große Marktmacht bis hin zur Monopolbildung. Manche sehen sogar schon ein Ende der etablierten Marken kommen.
Nun sind Plattformen an sich kein neues Phänomen: Auch Zeitungen, Warenhäuser, Handelskonzerne, Kreditinstitute oder mittelalterliche Handelsstädte sind bzw. waren Plattformen. Auch sie haben sich ihre Dienste und Zugangswege zu den Kunden bezahlen lassen. Man denke etwa nur an den Wettbewerb um „Regalmeter“. Neu ist freilich die Größe, Reichweite und auch der Totalitätsanspruch digitaler Plattformen. Beispiellos ist auch, in welchem Umfang und in welcher Tiefe diese Nutzerdaten sammeln, verarbeiten und gegenüber Dritten monetarisieren.
Derweil verlieren viele Unternehmen – ebenso hausgemacht wie durch sich wandelnde Marktstrukturen bedingt – immer mehr den direkten Zugang zu ihren Kunden. Zahlen mittlerweile hohe Eintrittsgelder, um in den führenden digitalen Ökosystemen als Marke noch sichtbar und präsent zu sein. Beispielsweise wird es für Unternehmen – sofern die Konsumenten nicht gezielt nach der eigenen Marke suchen – immer schwieriger und teurer, in der eigenen Warengruppe im Google-Ranking oben zu stehen. Die Abhängigkeit von der Gunst der Google-Algorithmen wächst. Glücklich kann sich schätzen, wer als Handelsmarke bei Amazon zu finden ist. Doch vertreibt Amazon auf seinem Marktplatz mittlerweile auch über 70 Eigenmarken – und dies sehr aggressiv. Sucht man auf Amazon nach bestimmten Marken, wird dann direkt unter dem Preis der Markenprodukte angezeigt, wie viel sich demgegenüber mit „Amazon Basics“ sparen ließe. Gerade im Bereich so genannter „Low-Interest“-Produkte ist diese Konkurrenz für Markenanbieter schon ein ernsthaftes Problem. Amazon ist im Online-Handel zudem längst nicht mehr nur „Gatekeeper“ der Customer Journey, sondern füllt diese im Kern oft bereits weitgehend aus. Und auch der Facebook-Algorithmus macht es Marken zunehmend schwer, im Feed der Verbraucher angezeigt zu werden – sofern dafür nicht zusätzlich gezahlt wird.
In naher Zukunft könnte sich dies noch weiter zuspitzen, wenn digitale Assistenten wie Alexa und Co. und damit vernetzte intelligente Geräte den Einkauf noch weitgehender steuern und „übernehmen“. Wenn die Kunden mit Sprachbefehlen nur noch gewünschte Produkte und Dienstleistungen nennen – und nicht zusätzlich bzw. explizit auch eine gewünschte Marke – wird diese deutlich weniger Einfluss auf die Kaufentscheidung haben. Bereits im einfachen „Suchschlitzverfahren“ ist dies häufig der Fall.
Braucht es da zukünftig überhaupt noch eigenständige Marken? Sind alle Bemühungen um Markenstärke auf einmal unwichtig? Ist heute nur noch Performance-Marketing statt Branding und Markenführung gefragt?
Weit gefehlt. Vielmehr zeigt sich: Marken, die in der Vergangenheit primär Performance-Marketing betrieben haben – und Branding und Markenführung vernachlässigten – haben heute in vielen Bereichen schon Probleme, sich in der Plattformökonomie zu behaupten. Sofern die Konsumenten bei den digitalen Gatekeepern nicht auf bestimmte Marken bestehen, droht die Gefahr, als Unternehmen im Nirvana der Erinnerung zu verschwinden.
Marken bleiben zentrale Anker
Marken spielen auch und gerade in der Plattformökonomie weiterhin eine zentrale Rolle. Nur was in den Köpfen und Herzen der Konsumenten verankert ist, kann auf der Customer Journey auch abgerufen, aktiviert und wirksam werden. Es geht aber nicht generell darum, eine fortschreitende „Marken-Demenz“ der Verbraucher zu stoppen. Branding und Aufbau einer starken Marke schaffen auch in den digitalen Ökosystemen selbst vielfältige und langfristige Wettbewerbsvorteile:
- Eine starke Marke führt zu besseren Abschlussraten bzw. Konversionsraten, da das Vertrauen in bekannte Marken größer ist.
- Größeres Vertrauen kann zu verbesserten Klickraten in den Suchergebnisseiten (SERPs) führen, was sich positiv auf das Google-Ranking auswirkt.
- Etablierte Marken führen zu größerer Kundenbindung und Loyalität, was sich in Form wiederkehrender Website-Besuche und steigender Cross-Selling-Raten auszahlt.
- Die Chance auf Verweise und Social Shares ist größer, da starke Marken aufgrund ihrer Vertrauenswürdigkeit eher verlinkt bzw. Inhalte von ihr geteilt werden. Das führt zu größerer Reichweite und besseren Rankings. Content-Marketing, SEO und PR werden so einfacher.
- Marken, die sich in bestimmten Bereichen als Autorität etabliert haben, werden mit ihren Inhalten leichter bei Google gefunden als nicht etablierte Marken.
- Letztlich bestimmen die Konsumenten selbst, womit sie die Suchschlitze und bald schon die intelligenten digitalen Assistenten (Amazon Echo etc.) der Plattformökonomie „füttern“.
Kurz: Markenstärke und Markenbindung bleiben wichtig und entscheidend. Freilich gilt auch: Vielfalt, Zugänglichkeit und hohe Preistransparenz in der Plattformökonomie haben den Wettbewerb dauerhaft und unumkehrbar verschärft. Bisher unbekannte Anbieter können schnell aufsteigen, ehemalige „Platzhirsche“ schneller Marktanteile verlieren oder sogar untergehen. Wer als Marke keine echten und auch neuen Mehrwerte mehr für die Konsumenten zu verstehen schafft, wird es schwer haben, seinen Platz im Markt zu behaupten. Auch der Zugang zu den Kunden und Kundendaten wird künftig wohl immer häufiger geteilt werden müssen – aktuell erleben dies gerade die Banken. Ob und in welcher Weise dies auch den übermächtig erscheinenden Plattform-Playern selbst bevorsteht, ist derzeit noch völlig offen. Zu begrüßen wäre dies!
Derweil sollten sich Marken (vermehrt wieder) auf ihre Stärken besinnen, diese besser pflegen und ausbauen: Signifikante Beziehungen stiften, Vertrauen schaffen, den Konsumenten begeisternde Erfahrungen und Erlebnisse bieten. Marken sind in ihrem Kern nicht digitalisierbar oder automatisierbar. Ebenso wie Menschen sind starke Marken in der digitalen Ökonomie und in der zunehmenden Konvergenz von Menschen und intelligenten Maschinen unverzichtbar – und als Beziehungs- und Erfahrungsangebote wertvoller denn je. Unternehmen, die zusehends zu Automaten mutieren und sich der Logik der Algorithmen hilflos unterwerfen, werden hingegen weiter an Bedeutung und Stärke verlieren. Das Ende der Marken wäre damit aber ganz überwiegend selbstgemacht.
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