Prolog
„Künstliche Intelligenz wäre die ultimative Version von Google. Die ultimative Suchmaschine, die alles im Web verstehen würde. Sie würde genau verstehen, was Sie wollen, und Ihnen das Richtige geben. Wir sind noch lange nicht so weit, das zu tun. Aber wir können uns dem schrittweise annähern, und daran arbeiten wir im Wesentlichen.“ (Larry Page, Google Gründer)
„Ich bin schon oft gefragt worden, ob wir selbst-bewusste Maschinen machen könnten, die hervorragend intelligent sind und unfähig zu leiden. Kann es wirkliche Intelligenz ohne Sorge um die eigene Existenz geben?“
(Thomas Metzinger, Professor für Philosophie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz)
Ein Paradigmenwechsel mit Folgen …
Während Unternehmen vom Einsatz generativer KI in vielfältiger Weise profitieren können – dies freilich erst teilweise tun oder marktforscherisch begleiten – sind mit der KI-Revolution auch zahlreiche Herausforderungen und Risiken verbunden.
Erwähnenswert ist in diesem Kontext der Paradigmenwechsel im Bereich der Google-Suchmaschine, der auf der Entwicklerkonferenz „Google I/O“ im Mai 2025 offiziell verkündet wurde. Künstliche Intelligenz (KI) soll demnach künftig zum Herzstück der Google-Suche werden. Der „KI-Modus“ ermöglicht, komplexe Fragen zu stellen und interaktive Dialoge zu führen – vergleichbar mit dialogfähigen LLM Chatbots wie ChatGPT, Gemini & Co. De facto liefert Google zu vielen Fragen heute bereits, vor den gewohnten Linklisten, eine zusammenfassende Übersicht mit KI-Antworten.
Die Ära der klassischen Suchmaschine, wie wir sie seit über zwei Jahrzehnten kennen, neigt sich damit dem Ende zu. Suchmaschinen verwandeln sich Schritt für Schritt in Antwortmaschinen, die fertige Antworten auf einfache oder komplexe Fragen präsentieren, ohne die Erfordernis zur Informationsgewinnung auf externe Websites zu klicken. Die Antworten selbst können dabei, je nach Blickwinkel und persönlicher Ansicht, mehr oder weniger als „intelligent“ gelten.
Für Nutzer, Inhalte-Anbieter und Marketing-Strategien hat dies erhebliche Folgen.
Transformation der Informationslandschaft
Mögliche Folgen des Strategiewandels von Google, aber auch der zunehmenden informationellen Nutzung von KI-Tools insgesamt, können insbesondere sein:
- Wandel der Informationsbeschaffung
Nutzer könnten zunehmend auf KI-Antworten setzen und sich darauf verlassen – und weniger externe digitale und analoge Quellen zur Informationsgewinnung nutzen. Bisherige Kanalpräferenzen könnten sich grundlegend wandeln. Und auch die oft via Google startende oder begleitete Customer Journey könnte sich deutlich verändern. - Reduzierter Website-Traffic
Betreiber von Webseiten und Landingpages könnten einen signifikanten Rückgang ihres Traffics verzeichnen, da Nutzer seltener auf ihre Seiten weitergeleitet werden bzw. darauf klicken. - Verlust an digitaler Sichtbarkeit und Awareness
Klassische digitale Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für Unternehmen und Produkte im Internet könnte erheblich sinken, wenn diese in KI-Antworten nicht repräsentiert sind. - Abnehmende Informationsvielfalt
Die Vielfalt genutzter Informationsquellen könnte deutlich abnehmen, wenn Nutzer zukünftig hauptsächlich die von KI bereitgestellten Antworten bzw. Inhalte konsumieren. - Eingeschränkte Informationsfreiheit
Kritiker warnen davor, dass diese Entwicklungen die Informationsfreiheit einschränken und die Macht von Tech- und Medienkonzernen – aber auch politischer Systeme – über die Informationsverbreitung weiter zentralisieren könnten (Gate-Keeping).
De facto ist dies heute bereits sichtbar und dürfte sich mit zunehmender Verbreitung und Nutzung von KI in den Wirkungen und Wechselwirkungen steigern.
Strategische Anpassungen erforderlich
Für Unternehmen und ihr Marketing können sich – neben einem „bloßen“ möglichen Verlust an Sichtbarkeit und Awareness – auch noch fundamentalere Risiken ergeben:
- Verlust der Markenhoheit
Inhalte können im Rahmen von KI-Antworten in neuem und markenfremdem Kontext erscheinen, oder gar nicht mehr mit der eigenen Marke assoziiert werden. - Wachsende Abhängigkeit von Black-Box-Systemen
Aufgrund der fehlenden Transparenz und Nachvollziehbarkeit algorithmischer Prozessierungen und Outputs können Unternehmen oft nicht wissen bzw. verstehen, warum sie in KI-Antworten (nicht) erwähnt werden. - Steigende Reputationsrisiken
KI kann darüber hinaus – und nicht selten – auch falsche, veraltete, verzerrte und „halluzinierte“ Informationen über Unternehmen und deren Produkte verbreiten – und so zu Fehlwahrnehmungen der Nutzer und zu Imageschäden führen.
Kurz und vereinfacht:
Unternehmen werden, um in relevanten Kontexten nicht schrittweise „unsichtbar“ zu werden (Tests zeigen: in Teilen de facto bereits sind), aktiv neue Strategien entwickeln müssen, um in der digitalen Welt für Sichtbarkeit zu sorgen. Und zugleich sicherstellen müssen, dass über sie und ihre Produkte faktisch richtig und idealerweise auch markengerecht informiert wird.
Dabei geht es beispielsweise um Fragen wie:
- Muss SEO um „GEO“ (Generative Engine Optimization) bzw. „AIO“ (AI Optimization) erweitert werden, oder wird davon sogar ersetzt (Stichworte: Keyworddichte vs. Semantik, natürliche Sprache)?
- Welche Rollen spielen Markenbildung und Content-Qualität im KI-Zeitalter?
- Wie müssen Inhalte strukturiert bzw. aufbereitet sein, damit KI-Modelle diese erkennen, verstehen und zitieren können (Stichwort: semantisches Markup etc.)?
- Welche Inhalte werden von KI-Tools als besonders zuverlässig, vertrauenswürdig, relevant etc. identifiziert und bevorzugt zitiert bzw. referenziert (Stichwort „EAAT“: Experience, Expertise, Authoritativeness, Trustworthiness)?
- Wie ändert sich – mit Blick auf das eigene Unternehmen und seine Produkte – das relevante digitale Such-/Informationsverhalten der Kunden, generell und differenziert nach bestimmten Zielgruppen?
- Welche Methoden und Tools des Monitorings bieten sich im Rahmen von KI-Marketing an?
- …
Chancen im KI-Zeitalter nutzen
Zugleich ergeben sich für Unternehmen im KI-induzierten Wandel auch neue Chancen. Beispielsweise durch:
- Frühe Positionierung mit KI-optimiertem Content
- Steigerung von qualifiziertem Traffic durch relevante Angebote für spezifische Fragen und Kontexte
- Kundenbedürfnisse und Kundenerlebnisse fokussieren: Inhalte schaffen, die unmittelbar auf individuelle Bedürfnisse eingehen. Darauf abzielen, präzise und direkte Antworten auf häufig gestellte Fragen zu bieten, um in KI-Antworten berücksichtigt zu werden.
- Integration von Chatbot-Interaktionen, um Nutzerprofile zu verfeinern und Kunden gezielter anzusprechen
- Entwicklung neuer Content-Formate, die speziell für KI-Interaktionen mit Chat-Bots bzw. Voice-Bots erstellt werden.
KI und Customer Journey: Neue Ansätze für Kundeninteraktionen
Unter der Zielsetzung, die eigene Markenpräsenz über alle Phasen der Customer Journey hinweg (Awareness, Consideration, Purchase, Retention, Advocacy) in KI-Antworten und KI-Kontexten zu sichern und zu stärken, sind neue Strategien und Umsetzungsformate und die Berücksichtigung von Rahmenbedingungen erforderlich. Diese umfassen insbesondere:
- Entwicklung von hochwertigem, suchintentionsorientiertem Content pro Journey-Phase
- Einsatz strukturierter Daten zur besseren maschinellen Lesbarkeit
- Verstärkung der Omnichannel-Präsenz, um KI-Systeme über verschiedene Touchpoints hinweg zu versorgen
- Erstellung faktenbasierter, kontextreicher Inhalte (Ratgeber, How-To-Do´s, FAQs)
- Ausbau der digitalen Autorität durch Backlinks, Kundenbewertungen und Expertenzitate
- Integration von User Generated Content und Social Proof
- Aufbau eines kontinuierlichen Monitoring-System für KI-Erwähnungen
- Reaktionsprozesse für Korrekturanfragen bei fehlerhaften oder verzerrten KI-Antworten
- Festlegung redaktioneller Markenvorgaben für KI-interaktive Inhalte (Styleguides, Wording)
- Einsatz von Kundenbewertungen, Gütesiegeln, Testimonials und Expertenstimmen
- Transparente Kommunikation von Produktinformationen, Konditionen, Nachhaltigkeitskriterien etc.
- Einsatz von Authorship-Markierungen und themenspezifischen Zertifizierungen.
- Bereitstellung strukturierter, aktueller Produktdatenfeeds
- Integration KI-kompatibler Produktbeschreibungen mit Feature-Vergleichen und relevanten Nutzenargumentationen
- Kooperationen mit KI-Plattformen zur API-gesteuerten Anreicherung von Informationen.
- Anpassung der Customer-Journey-Mapping-Modelle an KI-Dialogpunkte.
- Pilotierung interaktiver KI-Erlebnisse im E-Commerce (z. B. KI-Shoppingberater).
- Aufbau eines KPI-Frameworks mit Metriken wie „KI-Sichtbarkeitsindex“, „Empfehlungsanteil durch KI“, „Conversions via AI-Touchpoints“.
- Nutzung spezialisierter Analysetools (z. B. für AI Search Monitoring).
- Verknüpfung von First-Party-Daten mit Customer-Journey-Attribution.
- Etablierung interner Richtlinien für KI-Inhalte, Quellenverantwortung und Transparenz.
- Prüfung von Daten- und Urheberrechtskonformität bei KI-generiertem Content.
- Kennzeichnung von KI-Inhalten gemäß geltenden Vorschriften (z. B. DSA, DSGVO).
- …
Grundlegende Fragen für die Zukunft
Verbunden mit den aktuellen Entwicklungen sind für Unternehmen auch weitere sehr grundsätzliche Fragen:
- Wie lassen sich vorhandene generative und dialogfähige LLM Modelle und KI-Tools aktiv in eigene (interne wie externe) Kommunikationsprozesse einbinden?
- Wie lässt sich auf Grundlage anpassbarer LLM Modelle die Entwicklung eigener unternehmensspezifischer KI-Anwendungen im Kontext der Kundenbeziehungen vorantreiben?
Schaut man in der Praxis beispielsweise auf das Feld von KI-Service-Chatbots, überrascht, dass viele Unternehmenswebsites nach wie vor veraltet erscheinende FAQ-Listen oder statisch vorprogrammierte Bots nutzen – bisher jedoch kaum dialogfähige moderne KI-Bots einsetzen, die flexibel auf individuelle Fragen und Anliegen der Kunden reagieren können.
Kundenperspektive auf KI
Mit zunehmender Erfahrung der Kunden und Verbraucher mit solchen KI-Tools im Alltag werden hier – insbesondere unter jungen und technikaffineren Zielgruppen, aber auch im Gesamtmarkt – auch an die Unternehmen die Erwartungen deutlich steigen.
Der aktuelle «KI Monitor 2025» von HEUTE UND MORGEN zeigt in diesem Zusammenhang beispielsweise:
- Rund 70 Prozent der Bundesbürger im Alter zwischen 18 und 70 Jahren haben in ihrem Alltag bereits KI-Tools wie Chatbots genutzt
- Jeder Fünfte nutzt diese bereits regelmäßig, aktuell primär jüngere und technikaffine Menschen
- Die generelle Aufgeschlossenheit für den Einsatz von KI im Informations- und auch im Beratungsbereich ist überwiegend hoch, Schnelligkeit und Verfügbarkeit sind wesentliche Nutzenargumente
- Die Akzeptanz von KI-Anwendungen differenziert je nach konkretem Anwendungsszenario – und nimmt mit zunehmender Sensitivität und Komplexität der Themen schrittweise ab
- Vertrauen, Sicherheit und Datenschutz werden auch zukünftig wichtig und entscheidend bleiben.
KI-Begeisterung und KI-Skepsis
In übergreifender Perspektive ergibt sich für Unternehmen eine wesentliche Herausforderung: Schritt zu halten mit modernen KI-Anwendungen zur Befriedigung steigender Bedürfnisse und Erwartungen an smarte und effiziente Kundenservices und Dialogformate – und gleichzeitig weniger technikaffine und insbesondere KI-skeptische Kundengruppen nicht zu verschrecken bzw. zu verprellen.
Ein Spagat, der lösbar, aber nicht einfach ist und dabei hohe Sensibilität und differenziertes Kundenwissen voraussetzt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass KI zum „Beziehungskiller“ werden kann, statt kundendialogförderlich und lösungsorientiert.
Zugleich ist klar, dass die Nutzung und Anpassung von LLM Modellen, Investitionen, technische Voraussetzungen, spezifische Daten-Trainings, Klärung rechtlicher Rahmenfragen, Testphasen, marktforscherische Begleitung und Monitorings verlangt. Angesichts der rasant steigenden Bedeutung von KI-Tools erscheinen diese insbesondere für größere Unternehmen aber überschaubar und können wichtige Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Übergreifend wichtig erscheint, das Thema KI nicht primär technologisch und nicht nur instrumentell zu betrachten, sondern unter der Perspektive der Unternehmensidentität und der Kundenbeziehungen sowie auch der Kundenmotivationen im Ganzen.
Hier können sich je nach Unternehmen, Branche, Zielsetzungen, Zielgruppen etc. sehr unterschiedliche Anwendungsfelder und Antworten auf konkrete KI-Fragestellungen ergeben.
Fazit und Perspektiven (auch aus Marktforschungssicht)
KI ist kein modischer Trend, sondern gekommen, um dauerhaft zu bleiben, wird sich weiterentwickeln und voraussichtlich recht schnell in immer mehr Alltagsbereiche vor- und eindringen.
Wer hätte beispielsweise vor kurzer Zeit gedacht, dass wir einmal mehr „Prompten“ als „Googeln“ könnten. Im Netz nicht mehr über Stichworte nach Quellen suchen, sondern direkte Antworten auf spezifische Fragen und vorproduziertes Material erhalten können.
Qualität, Intelligenz oder behauptete Überlegenheit von KI-Anwendungen und KI-Produktionen sollen hier nicht diskutiert werden – die möglichen Wirkungen und Folgen können aber nicht bestritten werden.
Vor dem Hintergrund der nur grob skizierten Umwälzungen und verbundenen Fragen und Herausforderungen, kann fundierte Marktforschung in ganzheitlicher und kreativer Weise dazu beitragen, relevante Strategien und Umsetzungen zu entwickeln, verfeinern und evaluieren.
Dabei Einstellungen und Verhalten, Motivation, Akzeptanz, Nutzenerfahrungen, Begeisterungspotenziale etc. bezüglich konkreter KI-Anwendungen ausgewogen, differenziert und unabhängig aus Kundensicht analysieren. Verbundene Chancen und Potenziale, Risiken und Hürden sowie konkrete Handlungsoptionen und Lösungswege aufzeigen.
Vor technologischen oder einseitigen Einzelinteressen geleiteten, oder schlicht naiven „KI-Hypes“ sei zum Schluss gewarnt. Ebenso – und nicht minder (!) – aber auch vor möglichem Verschlafen, Passivität oder pauschalierter Skepsis angesichts bahnbrechender KI-Entwicklungen – und damit verbundener neuer Potenziale und Entwicklungsperspektiven für das eigene Unternehmen.
Denn trotz vieler Herausforderungen bietet der Wandel erhebliche Potenziale für Unternehmen, die frühzeitig KI-Strategien implementieren.
In diesem Sinne: Mut zu Neuem, ein wachsamer differenzierter Blick und gutes Gelingen!
Kontakt aufnehmen und austauschen
Interessiert am weiteren Austausch zum Thema KI-Anwendungen, KI-Marketing und zu individuellen Forschungsprojekten zum Kundenverhalten und zur Customer Journey im KI-Zeitalter?
Dann sprechen Sie uns gerne an: Tanja Höllger – tanja.hoellger@heuteundmorgen.de – Telefon: +49 221 995 005 0. Wir freuen uns auf ein vertiefendes Gespräch mit Ihnen!
Weitere Blogbeiträge zu zukunftsrelevanten und innovativen Themen der Marktforschung und der Organisationsentwicklung finden Sie regelmäßig in der Themenübersicht unseres Blogs „Plan Z – Zeit für Zukunft“.
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