Nähe und Distanz: Ein spannendes Wechselspiel – dem sich auch Unternehmen stellen müssen

Jun 30, 2020

Nähe und Distanz: Ein spannendes Wechselspiel – dem sich auch Unternehmen stellen müssen

Nähe und Distanz zählen mit zu den grundlegenden Polaritäten des menschlichen Lebens. Wir suchen sie, lieben sie, brauchen sie, meiden sie, fürchten sie. Lassen sie zu, gestalten sie, versuchen sie herzustellen, lösen sie wieder auf, erhoffen und erleiden sie …

Was uns nah und vertraut ist, kann uns fern und fremd werden – und umgekehrt. Nähe und Distanz unterliegen fortlaufender Formung, Bewegung und Wandel. Im Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz geht es um das Finden von „richtiger“ Balance, Passung und Maß. Das durchzieht alle Arten von Beziehungen: von Liebenden, Freunden, Bekannten, Unbekannten, verschiedenen Gruppen, Ländern und Kulturen. Ebenso unsere Beziehungen zur Natur, zur Kunst, zu Themen, Marken etc. Und natürlich auch die Beziehungen von Unternehmen zu Kunden und Mitarbeitern.

Jetzt – in Corona-Zeiten – werden gewohnte Verhältnisse von Nähe und Distanz kräftig erschüttert und durcheinandergewirbelt und bisweilen auf den Kopf gestellt. Bis hinein in die engsten sozialen Bande, die Beziehung zu den „Allernächsten“, aber auch in der elementaren Wahrnehmung des öffentlichen bzw. sozialen Raums und des sozialen Gegenübers.

In heillosem Durcheinander wird nach neuer Orientierung gesucht. Es wird versucht, Nähe und Distanz neu zu definieren. „Neue“ und „alte“ Normalität zu bestimmen, zu gewinnen bzw. zurückzugewinnen. Dieser Prozess ist auch nach dem Ende des großen Lockdowns keineswegs abgeschlossen und in vielfältiger Weise wirksam. Ende offen.

Was wird aus Nähe und Distanz?

Fest steht: Die etablierten individuellen und gesellschaftlichen Koordinatensysteme von Nähe und Distanz sind zumindest vorübergehend deutlich destabilisiert und verschoben. Mit Corona ist der modernen Gesellschaft ein ganzes Stück Leichtigkeit, Unbefangenheit und Selbstverständlichkeit genommen –, allem voran im Umgang mit räumlicher wie sozialer Nähe und Distanz.

Wie wird sich dies mittel- und längerfristig auf die Wahrnehmung des „öffentlichen Raums“ und auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen auswirken? Werden sich soziale Räume dauerhaft verkleinern bzw. verengen? Findet zur Absicherung vermehrter Rückzug ins Private, Kleine und Überschaubare statt? Oder wird das Bewusstsein dafür geschärft, dass wir – auch angesichts anderer Bedrohungen – alle in einem Boot sitzen?

Was wird aus der spielerischen Geselligkeit? Was aus der Solidarität? Was mit der Neugier und der Toleranz gegenüber dem Fremden? Was mit den verbliebenen großen Gemeinschaftsevents und gemeinschaftlichen Bewegungen (Konzerte, Fußballspiele, Stadtfeste etc.)? Was wird aus den Bildern unbeschwerten, „normalen“ sozialen Lebens? Wird stärkere Distanz vom Ausnahmezustand zum Normalzustand? Was passiert mit dem Sozialen unter Bedingungen der Distanzierung?

Welche Langfriststrategien, welche möglicherweise neue Kultur des zwischenmenschlichen Umgangs brauchen wir, um mit Ereignissen wie Covid-19 – aber auch mit Flüchtlingskrise, Klimawandel etc. – und den damit verbundenen Spaltungsgefahren umzugehen?

Solche und weitere Fragen sind nicht einfach und derzeit schon gar nicht umfassend oder abschließend zu beantworten. Dennoch hat die Erschütterung von Nähe und Distanz im Alltag nicht zuletzt auch für Unternehmen eine ganze Reihe erheblicher Implikationen und neuer Anforderungen.

Werbung und Kommunikation zwischen Nähe und Distanz

Betrachtet man Werbung als (beliebige) Konstruktion von Realität, stellt sich die Frage: Welche Bilder, Szenen, Narrative und Botschaften von räumlicher und sozialer Nähe und Distanz erscheinen in der Werbung aktuell und zukünftig angemessen? Sollten oder müssen diese „politically correct“ sein? Sollten diese beispielsweise die aktuelle Corona-Realität direkt oder indirekt mit abbilden und einbeziehen? Oder eben gerade nicht – da Werbung anders als etwa seriöser und professioneller Journalismus nicht zu einer Repräsentation von Wirklichkeiten verpflichtet ist, also Wünsche, Sehnsüchte etc. bedienen kann. Sollte die Werbung den (verständlichen und sehr verbreiteten) Wunsch nach Rückkehr zu gewohnten Nähe-Distanz-Verhältnissen aufgreifen? Darf man feiernde Menschengruppen zeigen, oder nicht? Sollte man gerade jetzt mutig werben oder sich zurückhalten?

Erschwerend kommt hier hinzu: Unternehmen müssen ihre Werbekampagnen länger vorausplanen – unter Unkenntnis des weiteren Verlaufs der Corona-Krise. Wie damit umgehen?

Marktforscherisch betrachtet könnte man salopp sagen: (auch) hier hilft nur testen, testen, testen. Und differenzieren: Welche Zielgruppe/n will ich ansprechen? Welche Befindlichkeiten und welcher Umgang mit der Krise und welche Wünsche und Erwartungen an die Zukunft herrschen in dieser Zielgruppe aktuell vor? Welche Bilder von Nähe und Beziehung werden in ihr als angemessen und ansprechend erlebt, welche nicht? Welche konkrete Wirkung (Befremden, Erstaunen, Sympathie, Begeisterung, Ablehnung etc.) werden meine Werbekonzepte und geplanten Anzeigen und Spots voraussichtlich haben? Welche Fallstricke gilt es im aktuellen Kontext in der Kommunikation zu beachten, welche neuen und zukunftsgerichteten Chancen zeigen sich?

Anbieter, die bspw. Themen wie „Schönes Zuhause“, „Gesundheit“ oder „Digitale Vernetzung“ bedienen, mögen es aktuell auf den ersten Blick leichter haben. Doch Vorsicht: Viele Menschen haben „Stay at home“, „Leben unter der Schutzglocke“, „Dauersorge um die Gesundheit“ und „Zoom“ auch gründlich satt. Sie zieht es wieder nach draußen, sie sind sorgloser als andere, sie wünschen sich wieder mehr Action und „echtes“ soziales Leben. Letztlich eine Rückkehr zu gewohnter Normalität und keine andauernden „Ausnahmezustände“, die rhetorisch forsch bereits zu „neuer Normalität“ erhoben werden.

Generell kann davon ausgegangen werden, dass Werbung derzeit in besonderer Weise krisenkontextual wahrgenommen wird und zugleich stark vom individuellen Umgang mit der Krise (Besorgnis, Akzeptanz, Sorglosigkeit, Widerstand gegen Maßnahmen etc.) bestimmt wird.

Nähe und Distanz in Kundenbeziehungen

Auch in der Gestaltung der Kundenbeziehungen stellen sich viele Fragen: Wie sollten diese nach der weitgehenden Wieder-Öffnung und der Aufhebung vieler Kontaktbeschränkungen gestaltet werden? Sollten zuvor erzwungene distanziertere und speziell digitale Kontaktformen (weiter) gepflegt werden? Oder im Gegenteil gerade jetzt wieder mehr unmittelbare persönliche Nähe gesucht werden?

Wichtig ist hier eine kritische Bestandsaufnahme dessen, was sich in den vergangenen Monaten in puncto Nähe und Distanz in der Beziehung zu den Kunden gezeigt und vollzogen hat, um daraus zu lernen und Strategien für die Zukunft abzuleiten.

Speziell mit Blick auf digitale Kontaktwege und Kontaktangebote (die per se distanzierter als persönliche Kontakte sind) sollte – ungeachtet aller wichtigen Überbrückungsfunktionen in Krisenzeiten – überprüft werden, inwiefern diese der Nähe zu den Kunden und der Kundenbindung dienen, oder eher der oft beklagten Bindungserosion Vorschub leisten. Der Digitalisierungsschub sollte – gerade mit Blick auf das Verhältnis von Nähe und Distanz – nicht zu naiver und generalisierter Digitalisierungsgläubigkeit führen. Salopp formuliert: Soziales lässt sich nicht einfach durch Digitales ersetzen. Ausnahmezustände sind und bleiben bis auf weiteres zunächst einmal Ausnahmezustände, werden nicht automatisch zu neuer Normalität (bzw. als solche akzeptiert).

Und weiterhin bleiben natürlich die individuellen Vorlieben und Wünsche der Kunden in puncto Nähe und Distanz in der Beziehung zu den Anbietern von zentraler Bedeutung. Bleiben diese – jenseits reiner Notlösungen – krisenstabil oder verändern sich diese gerade möglicherweise grundlegender? Auch hier gilt: Besser genau zuhören und Fragen stellen, als vorgefertigten Antwortmustern oder Ideologien folgen, die einmal mehr in verunsicherten Krisenzeiten zuhauf kursieren.

Nähe und Distanz in organisationalen Beziehungen

In vielen Unternehmen haben sich die Arbeitsbeziehungen – hier einmal abgesehen von millionenfacher Kurzarbeit – in den letzten Monaten dramatisch verändert. Welche Erfahrungen wurden in dieser Zeit mit „distanzierteren“ Arbeitsbeziehungen und dem deutlich ausgeweiteten Home-Office gemacht? Wie hat sich dies auf Motivation, Leistungskraft und inneren Zusammenhalt ausgewirkt? Was war eher nur Notlösung? Wo fehlten der nähere persönliche Austausch und die unmittelbare Begegnung am stärksten? Welche digitalen Überbrückungswege sind auch auf Dauer tragfähig und wert, dauerhaft übernommen zu werden, welche nicht? Sprechen die gemachten Erfahrungen für die Zukunft (unter sich wieder normalisierenden Rahmenbedingungen) eher für mehr oder für weniger Home-Office-Angebote? Was ist unter Bedingungen der räumlichen Distanzierung mit dem sozialen Zusammenhalt im Unternehmen passiert? Wo wurde in diesem großen “sozialen Experiment” möglicherweise sogar näher zusammengerückt, wo zeigten sich deutliche Grenzen und negative Entwicklungen?

Die Beantwortung solcher und weiterer Fragen ist – durchaus auch im Rahmen systematischer Mitarbeiterbefragungen (Fokusbefragungen) – wichtig, um alte und neue organisationale Modi des Zusammenarbeitens (und deren Nähe- und Distanzparameter) zu balancieren. So können hier, wie auch in den Kundenbeziehungen und in der Kommunikation, gute Strategien und Lösungen für die Zukunft gefunden werden.

Dabei wünscht HEUTE UND MORGEN Ihnen und Ihrem Unternehmen auch für die kommende Zeit gutes Gelingen, viel Kreativität, Wachsamkeit und Freude!

Zugleich wünschen wir Ihnen und Ihren Nächsten eine angenehme und sorgenfreie Sommerzeit – und den Reisefreudigen und Mutigen einen erholsamen und sonnigen Urlaub in Deutschland, in Europa oder auch anderswo auf der Welt. Bleiben Sie gesund, zuversichtlich und freudig!


Weitere Blogbeiträge zum Thema Nähe & Distanz in zwischenmenschlichen Beziehungen finden Sie auch auf den Übersichtsseiten Kundenbeziehungsmanagement und Digitalisierungsforschung.

 

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