Verbraucherschützer kritisieren schon lange, dass die zunehmende Zahl an Siegeln und Zertifikaten für Produkte, Dienstleistungen oder Unternehmen mehr zur Verunsicherung und Verwirrung der Konsumenten beitragen, als zu deren Aufklärung und Orientierung. Allein im Lebensmittelmarkt gibt es mittlerweile mehr als 1.000 Labels, die Versprechen in puncto verschiedenster Qualitäts- und Gütekriterien abgeben. An dieser „Siegelflut“ wird sich auch zukünftig kaum etwas ändern: Aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen können Verbände, Initiativen oder selbsternannte Prüfinstitute immer neue Labels herausgeben und vermarkten – nach mehr oder weniger strengen, transparenten oder überhaupt sinnvollen Kriterien. Fest steht: Der Siegelmarkt ist für die Siegelanbieter und die mit ihnen verbundenen Medien ein lukratives Geschäft. Und für Unternehmen scheint es überaus reizvoll, sich und ihre Angebote mit den verschiedensten Siegeln, Labeln und Auszeichnungen zu schmücken und der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Doch was bringt der Einsatz solcher Siegel eigentlich? Wie bekannt und wie vertrauenswürdig sind diese bei den Verbrauchern? Haben die Label überhaupt eine nachweisbare positive Wirkung auf das Kaufverhalten der Kunden und auf deren Wahrnehmung von Produkten/Dienstleistungen und Marken? Rechtfertigen sich die damit verbundenen Kosten? Bringt der Einsatz mehrerer Siegel auch mehr? Sollten Siegel in allen Leistungsbereichen oder nur bei bestimmten Produkten eingesetzt werden? Wie „siegelaffin“ sind die Verbraucher und speziell einzelne Zielgruppen? Können Siegel dem Unternehmen oder Marken sogar 30schaden? Und in welchem Verhältnis stehen Siegel zu Marken?
Dies sind alles wichtige Fragen – die in der weit verbreiteten Siegeleuphorie freilich oft nicht gestellt werden. Motto: Wenn viele sich mit Siegeln schmücken, dann muss es wohl richtig sein und dann tun wir es auch. Doch vor einer Überschätzung und Überbewertung sei nachdrücklich gewarnt.
Generell gilt zwar: Fast jeder Bundesbürger hat im Konsumentenalltag bereits Siegel wahrgenommen und erkennt diese – bei gestützter Abfrage – auch wieder. Auf den ersten Plätzen der Bekanntheit liegen meist namhafte und langjährig etablierte Siegel wie von „Stiftung Warentest“, „TÜV“ oder „Öko-Test“. Viele andere Siegel sind hingegen noch weitgehend unbekannt. In puncto ungestützte Bekanntheit – also bei Aufforderung zur freien Nennung von persönlich bekannten Siegeln – sieht es schon deutlich anders aus: Nur wenige Siegel sind im Bewusstsein der Verbraucher tiefer verankert. Nur eine Minderheit kann spontan überhaupt relevante Siegel benennen. Dies heißt zugleich: Die Verbraucher suchen nur selten bewusst, aktiv und gezielt nach Siegeln als primäre Entscheidungsgrundlage.
Vergleichsweise am stärksten ausgeprägt ist die Orientierung an Siegeln im Branchenvergleich noch bei Technikprodukten, im Onlinehandel und bei Lebensmitteln; bei Versicherungen orientiert sich nach eigenen Angaben beispielsweise nur jeder Fünfte in einem stärkeren Maße daran.
Siegel gibt es mittlerweile für fast alles. Als Dachthemen stehen aktuell – neben der allgemeinen Produktqualität – vor allem die Themen Umwelt, Klima, Sozialverträglichkeit, Gesundheit, Fairness, Transparenz, Nachhaltigkeit, Innovation und Service im Fokus.
Betrachtet man die Vertrauenswürdigkeit von Siegeln, so zeigt sich, dass diese in hohem Maße mit deren Bekanntheit korreliert. Siegel, die bekannter sind, werden auch vertrauenswürdiger beurteilt als weniger bekannte Siegel – weitgehend unabhängig von anderen Vertrauensmaßstäben, wie etwa dem Bewertungsmodell der Siegelgeber (das aus Verbrauchersicht oft unbekannt oder auch intransparent ist). Daraus erwächst nebenbei auch eine eigendynamische Spirale: die Siegelgeber versuchen sich selbst bestmöglich zu vermarkten und ihre Bekanntheit zu stärken, etwa durch Partnerschaften mit namhaften Medien …
Letztlich entscheidend bleibt aber die Frage: Haben Siegel überhaupt einen nennenswerten Einfluss auf aus Unternehmenssicht relevante Zielkriterien?
Hohe Bekanntheit und Vertrauenswürdigkeit von Siegeln garantieren keine positive Wirkung
Die Ergebnisse eines umfangreichen experimentellen Wirkungstests von HEUTE UND MORGEN mit über 4.000 Probanden lassen hier aufhorchen. Getestet wurde – hier am Beispiel ausgewählter Siegel im Versicherungsmarkt – der Effekt der Siegel auf Zielgrößen wie Produktbewertung, Abschlussbereitschaft, Markenstärke sowie auch auf das funktionale und emotionale Markenbild der Produktgeber. Ergebnis: Ein unmittelbarer und in höherem Maße relevanter Einfluss von Siegeln auf die Abschlussbereitschaft kann nicht nachgewiesen werden. Auch in keinem der anderen genannten Zielbereiche lassen sich signifikante positive Effekte nachweisen. Am ehesten noch auf den Dimensionen „Solidität“ oder (wenig erstaunlich) bei Kriterien die in einem direkten Zusammenhang mit der Siegelvergabe stehen (Unternehmen hat Auszeichnungen erhalten). Selbst beim Einsatz des aus Verbrauchersicht für diese Branche stärksten Siegels „Stiftung Warentest Finanztest“ zeigen sich kaum positive Effekte. Dies gilt auch angesichts des allgemeinen Befragungsergebnisses, dass rund ein Drittel der Verbraucher (je nach Sparte variierend) angibt, ihnen seien Gütesiegel beim Abschluss von Versicherungen im Allgemeinen „wichtig“. Der tatsächliche Effekt bleibt gering.
Auch das Motto „Viel hilft viel“ ist bei Siegeln im Versicherungsbereich fehl am Platz. Im Gegenteil: Mehr als die Hälfte der Verbraucher ist der Auffassung, dass zu viele Siegel „unglaubwürdig“ wirken – insbesondere bei weniger bekannten Produktgebern und Marken. Ebenso wenig kann die verbreitete Meinung, dass gerade vertrauensintensive Produkte (wie im Versicherungsbereich etwa Lebens- oder Krankenversicherungen) ein vertrauenstärkendes Siegel brauchen, nicht generell bestätigt werden.
Auch wenn diese Ergebnisse nicht einfach 1:1 auf alle anderen Branchen übertragbar sind, mahnen sie doch zu einem deutlich weniger euphorischen und naiven Umgang mit Siegeln. In ihrer „wahren“ Größe und Bedeutung werden Siegel meist überschätzt – auch wenn (namhafte) Siegel kaum schaden und unter bestimmten Bedingungen auch hilfreich sein können. Riesenhafte Wunderdinge sollte man von Siegeln aber nicht erwarten, weder auf Seiten der Hersteller und des Handels noch speziell auf Seiten des Marketing und des Vertriebs. Der Scheinriese „Tur Tur“ aus den Kindergeschichten von „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ lässt mit einem Augenzwinkern grüßen. Nicht selten fallen Siegel einfach in die Kategorie „nice to have“. Gute Siegel schaden nur selten, bringen aber nicht viel (zumindest weniger als man gemeinhin erwartet). Oft dienen diese in der Praxis wohl auch eher der (rein menschlich verständlichen) eigenen Eitelkeit und wohlfeilen Selbstdarstellung – mit der Gefahr, den Blick auf aus Verbrauchersicht erforderliche konkrete und wichtigere Entwicklungen zu versperren.
Wo macht der Einsatz von Siegeln Sinn?
Zugleich sollen Siegel hier aber auch nicht kleiner gemacht werden, als sie sind. Während starke Marken auf deren Einsatz verzichten können – sie tragen relevante Qualitätsversprechen in der Regel bereits ausreichend in sich und brauchen keine zusätzlich angehefteten Siegel – können schwächere Marken und weniger bekannte Anbieter – bei richtigem und gezieltem Einsatz – in begrenztem Umfang durchaus davon profitieren. Sie werden dadurch ein stückweit „aufgewertet“. Dabei hilft unter anderem auch das Wissen darüber, welche Zielgruppen im Vergleich zu anderen stärker „siegelaffin“ sind und wo sich diese bevorzugt aufhalten und ansprechbar sind. Freilich sollten auch bislang schwächer aufgestellte Marken und unbekanntere Anbieter sich nicht von externen und modischen Siegelvergaben abhängig machen, sondern konsequent und nachhaltig am Aufbau ihrer „inneren Markenstärke“ arbeiten. Siegel sind beim Markenaufbau dabei nur ein – und sicher nicht das einzige oder wichtigste – Stützinstrument.
Fazit
Auch wenn hier längst nicht alle Erkenntnisse zur Wirkung von Siegeln darstellbar sind, lässt sich zusammenfassen: Der Siegelmarkt hat ein Eigenleben entwickelt, das im Alltag leicht zur Überschätzung der Relevanz von Siegeln führen kann. Damit verbundene Investitionen erzielen keineswegs automatisch auch einen tatsächlichen Nutzen. Der differenzierte Einsatz von wenigen guten Siegel kann je nach Kontext durchaus Sinn machen. Bereits starke und etablierte Marken können in ihrer Markenführung und in der zukunftsorientierten Markenentwicklung jedoch auch darauf verzichten.
Weitere interessante Beiträge zum Thema finden Sie auch auf den Übersichtsseiten Marktforschung und Markenführung.
-
Ihre Bewertung